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Mogelpackung: Roman

Mogelpackung: Roman

Titel: Mogelpackung: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jan Schröter
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ihre Fotos freigegeben. Alle – bis auf eine.
    Helena Anatol hatte nicht nur ihre Unterschrift verweigert, sondern sich auch dagegen gesperrt, eine Kurzbiographie für die Homepage abzuliefern. Name, Unterrichtsfächer – das müsse reichen, mehr erlaube sie nicht. Das stank zum Himmel, fand Köhler. Und deshalb hatte er sich an das Frankfurter Gymnasium erinnert, an dem die Kollegin Anatol vor ihrem Wechsel nach Bornstedt unterrichtet haben sollte – der Direktor hatte den Namen der Schule beiläufig mal erwähnt. Die Homepage dieses Frankfurter Gymnasiums zu finden war kein Problem gewesen. Nett gemacht, mit vielen Hinweisen zu aktuellen Vorhaben und launigen Erinnerungsberichten von vergangenen Projekten und Klassenreisen. Genau in dieser Rubrik fand Köhler einen zwei Jahre alten Bericht über einen Oberstufenausflug nach Trier. Mit vielen Fotos, die er sich eben alle angesehen hatte. Besonders das eine, das auch jetzt noch seinen Monitor füllte: eine Frau und ein Mann vor der Porta Nigra. Er, etwa vierzig Jahre alt, gepflegte Erscheinung, hielt die Frau fest an der Schulter umschlungen und wies in Feldherrenpose auf irgendetwas außerhalb des Bildhorizonts – sie lächelte etwas verkrampft dazu.
    Unverkennbar Helena Anatol.
    Bloß, dass in der Bildunterschrift stand: »Unser Lehrertraumpaar – Herr und Frau Richter.«
    Gut, dachte Köhler, manche Leute lassen sich scheiden und legen den Namen des Ex-Gatten ab. Aber irgendwie hatte er das sichere Gefühl, dass die Dinge in diesem Fall nicht so einfach lagen. Da war etwas faul. Er beobachtete Helena, bis sie plötzlich von ihren Heften aufblickte und zu ihm herübersah. Köhler lächelte ihr unverbindlich zu und wandte sich schnell ab.
    Ach ja, der schüchterne Wolfgang, fuhr es Helena Anatol durch den Sinn, als sie plötzlich nur noch seinen Rücken sah. Obwohl, besonders schüchtern verhielt er sich ihr gegenüber eigentlich längst nicht mehr. Und Helena wusste immer noch nicht genau, ob sie das nun gut oder lästig fand. Trotzdem hatte sie zugesagt, als Köhler sie vorhin gefragt hatte, ob sie nicht am Samstag »seine Jungs« beim Fußballturnier anfeuern wolle. An den Wochenenden hing sie sowieso nur herum, und ein bisschen war sie auch neugierig darauf, Wolfgang im Umgang mit kleinen Kindern zu beobachten. Seine steife Art und ausgelassene Jungs auf dem Sportplatz, diese Mischung konnte sie sich gar nicht richtig vorstellen.
    Ihr Blick wanderte wieder, wie vorher schon mehrfach, zum Fenster hinaus auf den Bolzplatz vor der Turnhalle, wo drei Gestalten um einen Ball herumtobten, offensichtlich mit höchstem Vergnügen – ein kleiner Junge, den sie nicht kannte, Kollege Schulz und Fredo. Es hatte Helena weh getan, dass er neulich Abend so sang- und klanglos fortgegangen war. Aber als sie Fredo jetzt beobachtete, wie er mit vollem Einsatz nach dem Ball hechtete, über den Rasen kugelte, mit Briegel Schulz zusammenprallte, lachend aufstand und sich mit dem kleinen Jungen begeistert abklatschte, hatte Helena ihm schon fast verziehen. Angesichts dieser ungezügelten Lebensfreude fiel es einfach schwer, Fredo gram zu bleiben. Er will Spaß, dachte Helena, und den habe ich ihm nicht mehr geboten. Also ist er gegangen. Selber schuld, Helena.
    Unten unterbrachen die drei Fußballer ihr Spiel und standen nur noch herum. Abpfiff, sagte sich Helena und wandte sich wieder ihrer Korrekturarbeit zu.

    Knödel entdeckte sie zuerst. »Hey, Fredo – ist das nicht deine Oma?«
    Fredo ließ den Ball fallen und sah zu der merkwürdigen Erscheinung hinüber, die neben der Turnhalle auftauchte und sich mit unsicheren, kleinen Schritten näherte. Gesche, tatsächlich. Im Pelzmantel, bei locker dreiundzwanzig Grad im Schatten. Sie schien Fredo jetzt ebenfalls zu erkennen und winkte ihm kurz zu. Im nächsten Moment geriet sie ins Taumeln und sackte zusammen. Fredo sprintete los, Briegel und der Junge schalteten langsamer, folgten dann aber nach.
    Als Fredo seine Großmutter erreichte, schlug Gesche gerade wieder die Augen auf und funkelte ihn mit gesammelter Restenergie an. »Du Lausebengel, warum kommst du nicht nach Hause? Die Schule ist längst aus …«
    Damit hatte sie sich völlig verausgabt, sie schnappte nach Luft. Fredo ließ sich gar nicht erst auf Diskussionen ein, sondern öffnete den geschlossenen Pelzkragen und knöpfte Gesches Mantel auf. »Hol bitte Wasser«, forderte er Briegel auf. Der Freund nickte nur und rannte zum Turnhalleneingang. Knödel hielt

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