Mohrenwäsche
aufzustellen. Dr. von Blimenstein war immer einverstanden gewesen mit der Behandlung von Geisteskranken, wie sie das Dritte Reich praktiziert hatte.
Dasselbe konnte man von dem Mann im Piemburger Gefängnis schwerlich sagen, den der Kommandant als nächsten besuchte. Zu fünfundzwanzig Jahren Haft verurteilt für seine Rolle in der Rivona-Verschwörung, von der er in Wirklichkeit nichts gewußt hatte, hatte Aaron Geisenheimer sechs Jahre in Einzelhaft verbracht, über die er sich mit dem Gedanken tröstete, daß früher oder später eine Revolution stattfände, die ihn, wenn nicht wieder in sein Verfügungsrecht einsetze, so doch wenigstens aus dem Verfügungsrecht anderer befreie. Er tröstete sich mit diesem Gedanken und der Bibel, die dank der religiösen Grundsätze der Gefängnisleitung das einzige Buch war, das der von seinem Glauben abgefallene Jude lesen durfte. Da Aaron Geisenheimer seine Jugend mit dem besessenen Studium der Werke von Marx, Engels und Lenin verbracht hatte und er von einer langen Reihe rabbinischer Gelehrter abstammte, überraschte es kaum, daß er nach sechs Jahren mehr oder minder erzwungener Bekanntschaft mit der Heiligen Schrift nun ein Füllhorn biblischen Wissens war. Er war auch kein Dummkopf, wie der Gefängnispfarrer aus eigener bitterer Erfahrung wußte. So tauchte der Pfarrer nach einer Stunde christlicher Gespräche mit Geisenheimer aus dessen Einzelzelle Nummer zwei in ziemlichem Zweifel an der Göttlichkeit Jesu und in der Annahme wieder auf, Das Kapital stehe irgendwo zwischen dem ersten Buch der Chronik und dem Hohelied Salomonis. Schlimmer noch, Aaron Geisenheimer beschloß täglich seine dreißigminütige Bewegungsration im Gefängnishof damit, daß er jeden nur möglichen Gottesdienst in der Gefängniskapelle besuchte, wo seine kritische Gegenwart den Pfarrer zwang, das intellektuelle Niveau seiner Predigten derart hochzuschrauben, daß der Rest der Gemeinde überhaupt nichts mehr verstand, während der Marxist immer noch erhebliche Kritik daran übte. Angesichts der Klagen des Pfarrers hörte der Gefängnisdirektor mit Entzücken, daß Kommandant van Heerden überlegte, ob er Geisenheimer nicht nach Fort Rapier verlegen lassen sollte.
»Machen Sie mit dem Kerl, was Sie wollen«, sagte Direktor Schnapps zum Kommandanten. »Ich bin froh, wenn ich ihn hier loswerde. Er hat sogar ein paar von meinen Wärtern dazu gebracht, Mao-Abzeichen zu tragen.«
Der Kommandant dankte ihm und ging hinunter zur Einzelzelle Nummer zwei, wo der Häftling in die Lektüre des Propheten Amos vertieft war.
»Es steht geschrieben: >Darum soll der Weise Schweigen bewahren in jener Zeit; denn es ist eine böse Zeit<«, sagte Geisenheimer zu dem Kommandanten, als der ihn fragte, ob er irgendwelche Klagen habe.
Kommandant van Heerden sah sich in der Zelle um. »Ein bißchen knapp der Platz hier«, sagte er, »man kann sich ja kaum umdrehen.«
»Ja, so kann man das ausdrücken«, sagte Geisenheimer.
»Wollen Sie nicht in eine bequemere Unterkunft umziehen?« fragte der Kommandant.
»Timeo Danaos et dona, ferentis«, sagte Geisenheimer.
»Reden Sie gefälligst kein Küchenkaffir mit mir«, schrie der Kommandant. »Ich habe Sie gefragt, ob sie größere Bequemlichkeit wollen.«
»Nein«, sagte Geisenheimer.
»Und zum Teufel warum nicht?« fragte der Kommandant.
»Es steht geschrieben: >Es wird sein, wie wenn einer einem Löwen entflieht, und ein Bär begegnet ihm, und er kommt ins Haus und stützt die Hand an die Wand, und eine Schlange beißt ihn.< Das scheint mir ein vernünftiger Standpunkt zu sein.«
Kommandant van Heerden hatte keine Lust, sich mit Amos auf einen Streit einzulassen, aber er war dennoch verwirrt.
»Muß manchmal ein bißchen einsam hier werden«, sagte er.
Geisenheimer zuckte die Achseln.
»Ich glaube, das hat die Einzelhaft so an sich«, sagte er philosophisch.
Der Kommandant ging zu Direktor Schnapps zurück und sagte ihm, er habe keinen Zweifel, daß Geisenheimer nicht ganz bei Troste sei. Am gleichen Nachmittag wurde der Marxist in eine Station der Irrenanstalt Fort Rapier verlegt, wo er elf weitere Betten und sämtliche Werke von Marx und Lenin vorfand, die die Abteilung für beschlagnahmte Bücher in der Piemburger Polizeidienststelle freundlichst zur Verfügung gestellt hatte. Als der Kommandant sie an Dr. von Blimenstein übergab, fiel ihm die Aversionstherapie für die homosexuellen Polizisten wieder ein.
»Noch eines«, sagte er, als die Doktorin
Weitere Kostenlose Bücher