Molly Becker 01 - Hilfe, ich bin reich
finde ich das toll, weil es ja irgendwie bedeutet, dass ich nach Clarissa die zweitwichtigste Person in diesem Unternehmen bin, andererseits hat es aber auch den Nachteil, dass es … wie soll ich sagen … eben direkt neben Clarissa ist.
Egal. Heute ist meine erste Monatsabrechnung fällig, und ich bin mir sicher, dass Clarissa ziemlich beeindruckt sein wird und dass sich dadurch unser etwas gespanntes Verhältnis lockern wird.
Als ich mein Büro betrete, überkommt mich spontaner Stolz. Mein Büro. Es sieht so toll aus mit der großen Glasfront und dem riesigen Schreibtisch. Meinem Schreibtisch.
Während ich den Computer hochfahre, lausche ich zur Tür, hinter der sich Clarissas Büro befindet. Ich kann zwar nichts hören, aber ich bin mir sicher, dass sie schon da ist. Sie ist immer da.
Bei Clarissa muss man auf der Hut sein. Nicht so wie ich anfangs, als sie sagte, sie sei für die nächste Stunde weg. Ich tat dann natürlich gleich das, was jede vernünftige Angestellte tun würde, zog meine Schuhe aus, legte die Füße auf den Schreibtisch und zog mir über meinen iPod die neueste CD von Natasha Bedingfield rein. Zu allem Überfluss sang ich auch noch mit geschlossenen Augen lauthals mit. Als Clarissa dann plötzlich vor mir stand, fiel ich fast vom Sessel, und ich glaube, meine Erklärung, dass das eine anerkannte Methode zur Stimmbandlockerung sei, nahm sie mir nicht ganz ab.
Aber dadurch bin ich natürlich auch klüger geworden. Sobald ich jetzt mein Büro betrete, verhalte ich mich von einer Sekunde auf die andere extrem professionell. Ich lümmle nicht herum, ich schminke mich nicht, ich bastle keine Papierflieger, ja, ich esse nicht einmal. Ist auch gar nicht nötig, wie ich mit der Zeit herausfand. Bei meinem Job muss ich nämlich gar nicht immer in meinem Büro sein. Die Kunden kommen ausnahmslos nach Terminabsprache zu mir, und das natürlich auch nicht den ganzen Tag über, was bedeutet, dass mir genügend Zeit bleibt, um zwischendurch immer wieder unsere anderen Abteilungen aufzusuchen.
Und dabei muss ich nicht einmal ein schlechtes Gewissen haben, denn schließlich ist es ja auch von enormer Bedeutung für mich, die Angebotspalette von Winners only genauestens zu kennen. Daher ist es nur im Sinne des Unternehmenserfolges, wenn ich dann und wann unsere Cafeteria aufsuche, um das Speisenangebot abzuchecken, oder die Boutique, um die neuesten Modetrends mit Sonja zu diskutieren, oder die Wellness-Lounge, um mir von Fiona die Vorzüge einer Hot-Stone-Massage demonstrieren zu lassen. Alles Dinge, die einen echten Profi ausmachen.
Für den heutigen Vormittag steht nur ein Termin auf dem Programm: Frau Schuhmann hat sich um elf zur Nachberatung angemeldet. Frau Schuhmann ist meine Lieblingskundin, sie ist total umgänglich und nett, und auf die Termine mit ihr freue ich mich immer schon. Für den Nachmittag haben sich dann zwei neue Bewerber angesagt, der eine um fünfzehn und der andere um sechzehn Uhr. Das wird ja das reinste Kinderspiel.
Dann werde ich jetzt als Erstes mal testen, ob der Cappuccino in unserer Cafeteria den hohen Erwartungen unserer verwöhnten Klientel entspricht … und das Tiramisu müsste auch wieder mal überprüft werden. Danach werde ich mich auf Fionas Massageliege begeben, dann der Termin mit Frau Schuhmann, und danach … ist schon Mittagszeit.
Ist das ein cooler Job, oder was?
Ich will gerade beschwingt mein Büro verlassen, als es mir wieder einfällt: die Abrechnung. Mit einem fetten Gehaltsscheck und dem redlich verdienten Lob von Clarissa schmeckt der Cappuccino sicher doppelt so gut.
Ich will mich gerade auf den Weg zu ihr machen, als es klopft.
»Herein«, sage ich automatisch.
Ein Mann betritt den Raum. Er ist um die vierzig, mittelgroß und hat dunkle Haare. Er trägt Jeans, dazu ein zerbeultes braunes Sakko, und anscheinend hat er sich heute noch nicht rasiert.
»Guten Tag«, sagt er. »Mein Name ist Schwarz. Alexander Schwarz.«
»Guten Tag. Was kann ich für Sie tun, Herr Schwarz?«
»Ich habe einen Termin bei Ihnen, glaube ich. Sie sind doch Frau Becker?«, fragt er.
»Ja, bin ich. Aber ich wüsste nicht, dass wir einen Termin haben.«
»Eigentlich wäre der Termin erst am Nachmittag«, erklärt er. »Aber ich war gerade in der Gegend, und da dachte ich, ich schaue mal rein. Vielleicht passt es Ihnen ja gerade.«
Ach, er ist einer der Nachmittagstermine. Schwarz, genau, so hieß der eine Kunde doch.
Na, der hat vielleicht Vorstellungen. Denkt,
Weitere Kostenlose Bücher