Molly Becker 01 - Hilfe, ich bin reich
räuspere mich. »Wir haben Monatsanfang.«
Ihr Kopf macht eine winzige Bewegung, was vermutlich ein Nicken sein soll. »Und?«
»Also, es ist doch so … wenn ein neuer Monat beginnt, dann ist doch automatisch der vorherige zu Ende, nicht wahr?«
Ein paar Sekunden vergehen, dann sagt sie: »Gratuliere, tolle Erkenntnis.« Und sonst nichts.
Mann, die Frau macht mich fertig.
»Was ich sagen wollte …«, hole ich noch einmal aus. »Wenn der vorige Monat vorbei ist, dann wäre doch jetzt theoretisch meine Abrechnung fällig.«
»Ihre was?«, fragt Clarissa.
»Meine Abrechnung«, rufe ich und zucke im nächsten Moment zusammen, weil es etwas zu laut ausgefallen ist.
Aber Clarissa bleibt völlig unbeeindruckt. Ohne eine Miene zu verziehen, sagt sie: »Ach so, Ihre Abrechnung.«
Dann öffnet sie eine Lade ihres Schreibtischs und beginnt umständlich darin herumzukramen.
Herrgott noch mal, was dauert denn da so lange? Soviel ich weiß, beziehen die meisten Winners-only-Mitarbeiter ein festes Gehalt, also werden ja wohl nicht so viele Abrechnungen in dieser dämlichen Lade sein.
Endlich, nach einer gefühlten Ewigkeit, zieht sie einen großen Umschlag hervor und schiebt ihn über den Tisch.
Ui, ist der dick! Das kann nur bedeuten, dass da ganz viele Rechnungen meiner Kunden angeführt sind, und das wiederum bedeutet …
Mein Herz macht einen gewaltigen Hüpfer vor Freude.
Ich hab’s gewusst. Ich hab’s gewusst. Ich! Bin! Gut!
Hat sich die Plackerei also doch ausgezahlt, die endlose Jobsuche, die lange Schulungsphase mit all den frustrierenden Belehrungen von Clarissa, die ich wieder und wieder über mich ergehen lassen musste. Aber jetzt halte ich endlich meine Belohnung in Händen: eine dicke, fette Abrechnung.
Clarissa hat mich die ganze Zeit gemustert, und man sollte meinen, das sei jetzt ein Anlass für sie, mich zu beglückwünschen, oder so was in der Art. Fehlanzeige.
»Sonst noch was?«, fragt sie stattdessen.
Blöde Kuh! Wahrscheinlich ist sie nur neidisch. Vielleicht verdiene ich jetzt sogar mehr als sie, oder sie hat Angst um ihren eigenen Job, wenn die Oberbosse erst mal mitkriegen, dass die Neue dermaßen durchstartet. Geschieht ihr recht, denke ich, und mit einem knappen »Nein, vielen Dank« schwebe ich davon.
Kaum bin ich draußen, setze ich gleich wieder ein breites Grinsen auf. Ich lasse mir doch von der nicht die Laune verderben. Ich bekomme jetzt Geld, viel Geld.
Am meisten freue ich mich schon auf das dumme Gesicht von Herrn Hofstätter, meinem Bankberater, wenn ich ihm den Scheck auf den Tisch knalle. Der löchert mich schon seit Ewigkeiten, weil mein Konto dann und wann ein bisschen überzogen war, und ich musste immer wieder auf Knien rutschen und mir die abenteuerlichsten Geschichten ausdenken, damit er meinen Dispokredit erweitert. »Frau Becker, Sie müssen endlich lernen, mit Ihrem Geld umzugehen«, gab er mir dann immer mit auf den Weg, dieser Heini.
Wie soll ich denn mit Geld umgehen, wenn ich keines habe? Eben.
Okeydokey, dann wollen wir mal sehen. Zitternd vor Aufregung reiße ich den Umschlag auf. Ein ganzer Stoß von Papieren kommt zum Vorschein, ganz oben liegt ein Blatt mit einer Auflistung von verschiedenen Posten, und unter dem Strich steht …
Das muss ein Irrtum sein! Aber hundertprozentig, das kann doch niemals … Ich meine, das ist doch lächerlich, da war ja mein Einstiegsgehalt in den ersten beiden Monaten noch höher, und das war schon so mickrig, dass mich jeder Hartz-IV-Empfänger ausgelacht hätte.
Ich fege den obersten Zettel beiseite und schaue mir die darunter liegenden Blätter an. Na bitte, da steht doch alles. Das sind mindestens dreißig Seiten mit Rechnungsbelegen, und schon beim schnellen Überfliegen sehe ich, dass meine Kunden einen ganzen Haufen Geld bei Winners only gelassen haben.
Schlagartig packt mich die Wut. Ich schnappe mir die Papiere und stapfe mit grimmiger Entschlossenheit zu Clarissas Büro. So, diesmal werde ich nicht klopfen, sondern gleich bei ihr hineinplatzen …
Okay, ein kurzes Klopfen könnte nicht schaden, schließlich handelt es sich wahrscheinlich um einen Irrtum der Lohnbuchhaltung, und dafür kann sie ja nichts.
Ich werd verrückt. Jetzt surrt es schon wieder. Ich zapple ungeduldig herum, bis ich endlich ihr doofes »Ja, biiitte?« höre, dann reiße ich die Tür auf und marschiere entschlossen hinein.
»Was gibt’s?« Sie sitzt in der haargleichen Position wie vorhin hinter ihrem Schreibtisch, als hätte sie
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