Moloch
Zohar zwar unter Beweis gestellt, doch er weigerte sich, ihn in irgendeiner Weise zugunsten eines gesellschaftlich anerkannten Ziels einzusetzen. (Seine Eltern hatten zu seiner Erziehung nur wenig beigetragen. Sein Vater, ein umgänglicher Trinker, war zeitlebens ein Ingeniator-Lehrling geblieben und kurz nach dem Wechsel in den Ruhestand verstorben. Mama Kush dagegen arbeitete täglich viele Stunden in einer dunstigen, zermürbenden Wäscherei, die sie jeden Abend so runzlig und faltig verließ, wie die schmutzige Wäsche aussah, die säckeweise angeliefert wurde.)
Zohar, der nur mit Mühe seinen Abschluss schaffte, war in einen Catch-as-catch-can-Lebensstil verfallen und beschaffte sich auf eine Vielzahl von Mitteln und Wegen die für seine schäbige, aber befreite Existenz benötigten Bullen und Weiber. Wenige diese Wege waren allerdings redlicher Natur. (Wenn Zohar allerdings flüssig war, dann bedachte er jeden von Diego bis hin zu zufällig anwesenden Fremden in einer Bar mit seiner Großzügigkeit.) Zohar und die Cops von Gritsavage waren gut miteinander bekannt, da Diegos Freund aus Kindheitstagen des Öfteren im örtlichen Gefängnis eine Strafe hatte absitzen müssen. Allerdings dauerte das nie lange, da man ihn nicht wegen schwerer Verbrechen verurteilen musste.
So weit war damit zunächst einmal alles in Ordnung. Zohar Kush führte ein aufregendes, ja sogar entzückend unehrenhaftes Leben, das völlig zu seinem Wesen passte und im Allgemeinen niemandem schadete. Diego hatte nie um das Überleben seines Freundes fürchten müssen.
Inzwischen jedoch stellte Diego fest, dass er nicht so optimistisch sein konnte, was Zohars zu erwartendes Schicksal betraf. Seit vielen Wochen war er an keinem seiner üblichen Schlupfwinkel aufgetaucht, so dass Diego vermutete, Zohar stecke in ernsten Schwierigkeiten und stehe vielleicht sogar am Rande eines Zusammenbruchs. Dieser Zustand fing exakt mit dem Tag an, an dem er Milagra Eventyr zu seiner Geliebten genommen hatte.
Als eines Morgens im Mai an Diegos Wohnungstür geklopft wurde, ahnte er bereits, dass Zohar Kush der Verursacher dieses Lärms sein musste. Er machte auf und sah seine Vorahnung bestätigt.
Zohar trug ein vormals sehr teures und sehr modisches weißes Hemd, das inzwischen mit einer ganzen Reihe von Flecken übersät und am Kragen ausgefranst war. Seine Chino-Hose ließ erkennen, dass sie sehr strapaziert worden war, wovon ein durchgescheuertes Knie und eine zur Hälfte abgerissene Gesäßtasche zeugten. Der Mantel aus Sackleinen war mit Ruß überzogen. An den schmutzigen Füßen trug er Slipper, aber keine Socken.
Zohars krönender Glanz war immer sein Haar gewesen, ein chaotischer Wust aus schwarzen Locken, die von Natur aus so schimmerten, als hätte man auf dem Straßenbelag des Broadway Öl verschüttet. Viele Mädchen an der PS 5 hatten bereitwillig viele Freiheiten in Bezug auf ihren eigenen Körper zugelassen, nur um einmal mit den Händen durch diese attraktive Mähne zu fahren. Heute ergänzten ein Schnauzbart und ein paar Stoppeln gleich unter der Unterlippe seine Haarpracht. Zohars Körperbau erinnerte noch an die jugendliche Drahtigkeit, für die er bekannt gewesen war. Doch mehr als zehn Jahre eines harten, sinnlosen Lebensstils hatten aus seinem scharf geschnittenen Gesicht die zerknitterte Landkarte eines verblassten jugendlichen Ehrgeizes gemacht.
Beim Eintreten packte Zohar Diego an den Ellbogen und richtete den Blick seiner flehenden blauen Augen auf den Freund. »Ich brauche deine Hilfe, Dee. Unbedingt! Aber nicht für mich, sondern für Milagra.«
Diego befreite sich freundlich, aber bestimmt aus dem Griff seines Freundes. »Bei den Eiern der Bullen, Zoh, du stinkst ja! Wo bist du bloß die letzten Monate über gewesen? Ich habe dich seit jenem Abend im Februar nicht mehr gesehen!«
Zohar reagierte mit einem flüchtigen Lächeln. »Ach, was war das doch ein grandioses Beisammensein! Ich habe noch immer den Geschmack vom ersten schäumenden Rude Bravo dieses Abends auf der Zunge. Ich erinnere mich noch genau daran, wie dieser affektierte Drumgoole genau die falsche hübsche Frau fragte, ob sie gerne ›eine Beziehung mit ihm eingehen‹ würde. Ich sehe noch seinen Gesichtsausdruck vor mir, wie er sich näselnd und vor dem Spiegel des U-Bahn-Klos stehend über seine Verletzung beklagte! Wir hatten schöne Zeiten, wir beide, nicht wahr, Dee? Schön genug, dass du jetzt in der Stunde der Not deinem alten Freund helfen
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