Die unwillige Braut (German Edition)
1. Kapitel
Michaelistag, 29. September 1088, York
Ein kalter Windstoß wehte den leichten Wollschal von Rhoeses Kopf und entblößte ihr kastanienbraunes Haar. Sie griff nach dem Schal und schlang ihn sich brüsk um die Schultern, so dass die beiden schweren Zöpfe bedeckt waren, die ihr bis zur Taille reichten. Nur einzelne Locken wehten ihr noch ins Gesicht. "Einen Karren voll Feuerholz von Gilbert of Newthorpe", rief sie dem Geistlichen an ihrer Seite zu, der emsig mitschrieb. "Notiert das, Bruder Alaric. Zwei Kühe, jede davon zwanzig Pence wert, von Robert, Bruder aus Thorkil …"
"Ja, ja", sagte der Geistliche. "Nicht so schnell, Mylady, wenn es recht ist." Angetrieben von Roberts Stachelstock, waren die Kühe nicht geneigt, ordentlich stehen zu bleiben und zu warten.
"Beeilt Euch, Mann. Master Ralph ist hier mit dem Korn."
Bündel von Reet, Körbe mit gesalzenem Fisch, lebende Hühner und frische Eier, Honig und Laibe von Käse, Säcke mit Malz und Korn wurden in den abgezäunten Innenhof von Toft Green getragen und gegenüber Lady Rhoese, ihrem Verwalter und ihrem Geistlichen abgerechnet. Es war Michaelistag, jener Tag, an dem die Abgaben fällig wurden, in ihrem ersten Jahr als Landbesitzerin. Seit dem frühen Morgen kamen Männer und zahlten Schillinge und Pence als Pacht für ihr Ackerland, für Getreide und Wiesen, für zwei Mühlen und zwei Stadthäuser, alles notiert auf den Pergamentrollen, die sich unter der Feder des Geistlichen wölbten. Der Unterstand aus Segeltuch über seinem Kopf begann zu flattern, als der erste Regen darüber hinweg fegte.
"Wie viele noch, Mylady?" fragte er, warf die Feder weg und zog eine andere hinter seinem Ohr hervor.
Rhoese strich sich die widerspenstigen Haarsträhnen aus dem Gesicht und wandte den Blick aus ihren grünen Augen dem großen steinernen Durchgang zu. Es dämmerte bereits, und bald würden die Tore zur Nacht geschlossen werden, obwohl noch immer Nachzügler eintrafen, die den ganzen Tag unterwegs gewesen waren, um ihre Schulden zu begleichen. Ein Wagen fuhr hindurch, holperte und rumpelte hinter dem Ochsengespann her, hoch beladen mit Schafsfellen, gefolgt von Reitern, die zwar ungeduldig, doch offensichtlich bester Stimmung waren.
"Wer kommt da, Bran?" rief sie ihrem Verwalter zu, der am Tor stand.
"Die Normannen, Mylady", erwiderte der mit gerunzelter Stirn.
"Schließt hinter dem Karren das Tor. Rasch!" befahl sie. Unwillkürlich trat sie einen Schritt zurück unter den Schutz des Segeltuchs. Der stete Strom von Wagen und Tieren, der sich auf ihr Gut zu bewegte, hatte Aufmerksamkeit erregt, und einige der Reiter waren stehen geblieben, um aus der Ferne die organisierte Menge zu beobachten, die mit ihren brüllenden Stieren und blökenden Schafen ihr Interesse geweckt hatte. Rhoese lag wohl mit ihrer Vermutung ganz richtig, dass es sich bei der normannischen Gruppe um Jäger handelte, die von einer Tageshatz kamen und ein wenig harmlosen Schabernack im Sinn hatten. Diese verdammten normannischen Emporkömmlinge!
Dieses Unbehagen beruhte auf früheren Erfahrungen, ließ sie wachsam beobachten, was hinter dem Palisadenzaun geschah, der ihren großen Hof umgab, so dass, als zwei der Reiter bis ans Tor herankamen, um besser sehen zu können, sie sich noch weiter in die Schatten des Unterstandes zurückzog. Seit der letzten großen landesweiten Überprüfung des Königs vor zwei Jahren waren die Anwesen, die sie von ihrer Mutter geerbt hatte, weitestgehend unangetastet geblieben, denn zu jener Zeit lebte sie noch daheim, und die Pachten und Einnahmen aus ihrem Eigentum vergrößerten kaum jene ihres Vaters, der ein Lehnsmann des Königs und reicher Kaufmann aus York gewesen war.
Mit gesenkter Stimme fuhr sie fort, dem Kirchenmann zu diktieren. Dabei versuchte sie, die beiden neugierigen Reiter nicht zu beachten, bis eine geheimnisvolle, unsichtbare Macht sie zwang, den Kopf zu drehen und hinzuschauen. Einer von ihnen beobachtete die Szenerie im Hof, der andere aber musterte sie, und nur sie allein. Er saß hoch aufgerichtet zu Pferde, war kräftig gebaut, so viel hatte sie mit einem Blick erfasst. Ihn hatte sie noch nie zuvor in York gesehen, sonst hätte sie ihn gewiss nicht vergessen. Sein dunkles Haar wehte wie schwere Seide im Herbstwind, und seine Blicke unter den geraden dunklen Brauen schienen sie wie Dolche zu durchdringen.
Er sah, wie sie zusammenzuckte, nickte ihr zu, ein Zeichen, das, wie sie meinte, ein Dienstbote besser nicht
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