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Moloch

Titel: Moloch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: China Miéville , Michael Moorcock , Paul di Filippo , Geoff Ryman
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herzustellen, einem Bunker oder Generalstab, aber ihre Vorgesetzten waren nicht mehr da oder hüllten sich in Schweigen. Sholl eingerechnet, befanden sich vier Zivilisten bei ihnen, von den Militärs gutmütig verspottet, während sie versuchten, ihnen das Kämpfen beizubringen. Der kommandierende Offizier war ein junger Mann aus Liverpool, der den größten Teil des Tages seinen Leuten ein breites Siegergrinsen zeigte, doch Sholl hatte auf seinen nächtlichen Streifzügen gehört, wie der Mann, wenn alles schlief, am Funkgerät den Sender Liverpool zu finden versuchte, und sein mit dem Rauschen der Statik vermischtes Weinen. »Verdammt, wenn ich es weiß, Kumpel«, sagte der Offizier an dem Tag, als Sholl wegging, wie auf eine von Sholl gestellte Frage.
    Auch einige der Villen in Kensington hatten Einquartierung. Die Truppen dort waren sichtbar eingeschüchtert von ihrer Umgebung. Sie fühlten sich fremd in den eleganten Privatparks, den von hohen weißen Fassaden gesäumten Straßen. Selbst wo die Architektur Spuren des Kriegs trug, brandgeschwärzt war oder von Kugeleinschlägen zernarbt, oder wo die Attacken des Feindes den Baustoff in etwas Fremdes verwandelt hatten, atmete die Gegend Vornehmheit, und die Soldaten wirkten eher kleinlaut als draufgängerisch.
    In Bermondsey, im Southwark Park, biwakierten die Überreste irgendeines Regiments. Sholl fand das bemerkenswert. Die Invasoren, desgleichen die Tauben und anderes Raubgesindel, das sich mit ihnen in London eingenistet hatte, konzentrierten ihre Attacken auf Straßen und Gassen. Parkanlagen, hatte Sholl beobachtet, wurden weitgehend gemieden. Ungeachtet dessen und der sich daraus ergebenden offensichtlichen Vorteile, ignorierten die meisten der Truppen in London die Grünanlagen. Sholl überlegte, ob das Training in »urbaner Kriegsführung« etwa ein Bärendienst gewesen war, ob die Soldaten verlernt hatten, im Gelände zu agieren, ohne Seitenstraßen und verlassene Gebäude als Rückzugspunkt.
    In der Hoffnung auf Verbündete, die sich nicht an diese eingedrillten Verhaltensmuster klammerten, hatte Sholl sich dem Lager in Bermondsey genähert. Die Hoffnung erfüllte sich, jedoch auf eine Weise, die ihm ebenso wenig von Nutzen war. Maschinengewehrfeuer zerfetzte als Begrüßung die Büsche neben ihm. Er blieb liegen, wo er sich hingeworfen hatte, halb verdeckt von einem Baum, der, das war ihm klar, keinen Schutz vor einer weiteren derartigen Salve bot. »Verpiss dich«, hatte eine Lautsprecherstimme geplärrt. Eine Gestalt im Tarnanzug, gerade noch erkennbar jenseits des von Granateneinschlägen zerwühlten Streifens zwischen ihm und dem Lager, stand auf einem gestrandeten Panzer und hielt ein Megaphon an die Lippen. » Verpiss dich aus unserem Park, du Wichser.«
    Sholl war dem Wunsch nachgekommen. Der Ring aus trichterförmigen Löchern, der die Soldaten umschloss, begriff er, war nicht Beweis für einen erfolgreich zurückgeschlagenen Angriff des Feindes. Er bezeichnete die Distanz, bis auf welche verzweifelte Bürger herangekommen waren bei dem Versuch, sich den traumatisierten, unter Verfolgungswahn leidenden Truppen zu nähern, und wo man sie eliminiert hatte.
     
    Einen Monat hatte Sholl gebraucht, um die geeigneten Leute zu finden. Solange die Technik noch mitspielte, war er tagsüber in seinem Bus herumgefahren, danach setzte er die Suche auf Schusters Rappen fort, in stoischer Nichtachtung der Gefahr. Hin und wieder hörte er den Kampfeslärm von Zusammenstößen, entweder zwischen Londonern und dem Feind oder zwischen gegnerischen Menschenbanden, manchmal ganz in der Nähe, meistens jedoch ein oder zwei Straßen entfernt, hinter der nächsten Ecke, außer Sichtweite.
    Ein A-Z-Stadtplan Londons war Sholls treuer Begleiter. Darin trug er ein, was er an Veränderungen der urbanen Geographie bemerkte. Er strich die Gegenden aus, die er zu meiden gedachte: Die Festungen der Imagos, die Bandenreviere, die Domänen der rabiaten neuen Gemeinschaften, wo auch arglose Mitmenschen, die sich in ihre Grenzen verirrten, als Vampire verdächtigt und verbrannt oder enthauptet wurden. Den Rest der Stadt versah Sholl mit entsprechenden Anmerkungen. Aus seinen Notizen zu den örtlichen Gegebenheiten versuchte er zu extrapolieren, wo mit bestimmten anderen Bedingungen zu rechnen sein könnte. Er suchte nicht ziellos: Er hatte einen Plan.
    War ein Gebäude dem Erdboden gleichgemacht oder nur mehr eine Ruine, wurde es mit schwarzem Stift ausgestrichen. Wo es eine

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