Moloch
Umwandlung erfahren hatte oder wo ein neues Etwas entstanden war, brachte er ein nummeriertes Kreuz an, dazu schrieb er in winziger Schrift die Details auf die Innenseite des Umschlags.
#7, hatte er notiert, bezogen auf das Gebilde, das neuerdings das Gefängnis von Brixton überragte, Jebb Ave. voll mit einem Zeug wie Hexenspucke. Trichterförmiger Turm wächst höher, Gespinstbrücken zu benachbarten Schornsteinen. Bewegung im Innern.
Mit Klecksen weißer Korrekturflüssigkeit markierte und nummerierte Sholl die Lager des Londoner Militärs.
Observierte sie durch ein Fernglas vom Oberdeck des Busses oder von umliegenden Hausdächern und führte genau Buch.
#4: ca. 30 Mann, ein Panzer, ein großes Geschütz. Moral im Schwinden begriffen.
Bei vier Gelegenheiten hatte Sholl, aus größtmöglicher Entfernung, die Soldaten bei Kampfhandlungen beobachtet. Einmal war der Gegner eine andere Militäreinheit, und der Schusswechsel endete mit einer Hand voll Toten auf beiden Seiten sowie planlosen Flüchen und Beschimpfungen von hüben nach drüben. Zu sehen, wie diese verstörten Männer und Frauen mit ihren bebenden Waffen hantierten und sich gegenseitig zu blutigen Fleischklumpen zermalmten, hatte Sholls Fassade distanzierten Interesses zerstört, ihn erschüttert, so sehr, dass er zitterte.
Die drei anderen Scharmützel kamen in Folge irgendwelcher bizarrer Attacken des Feindes zustande. Einmal gelang es den Menschen, sich zurückzuziehen. Zweimal wurden sie aufgerieben. Auch wenn das Gemetzel nicht einen Deut weniger blutig oder laut gewesen war, als wenn Menschen Menschen töteten, blieb Sholl weitgehend ungerührt. Sogar als die Invasoren dicht bei ihm durch die Dimensionen flimmerten und sich dabei vom Blut reinigten, ohne ihn zu beachten.
Einen Monat hatte Sholl gebraucht. Tage auf der Spur der Soldaten, wenn sie auszogen, um das Gelände zu sondieren, wobei sie ab und an sogar jemanden retten konnten – Männer und Frauen von den neuen Tauben angefressen, von den Invasoren en passant verstümmelt. An den Abenden verriegelte Sholl die Türen seines Busses und las beim Schein der Taschenlampe die Bücher, die er requiriert hatte. Sozusagen.
(Seine Bibliothek war bunt gemischt. Zu seiner eigenen Überraschung bemerkte er bei sich einen wieder erwachten Appetit auf Schmöker. In der Hauptsache jedoch verschlang er Fachliteratur aus dem Bereich der Physik, um zu begreifen, was mit dem Licht passiert war, sowie infantile militärische Ratgeber mit Titeln wie S.A.S. Survival und Extreme Combat. Er hatte einen Stapel Magazine aus der Reihe Soldier of Fortune, die ihn bei der Lektüre mit tiefer Verachtung erfüllten. Die wissenschaftlichen Werke waren ihm anfangs im wahrsten Sinne des Wortes Bücher mit sieben Siegeln, doch er hatte sich verbissen hindurchgearbeitet und endlich erstaunt gemerkt, dass er zu verstehen begann. Er konsumierte die Sach- und die Survivalliteratur mit stoischer Gelassenheit, wie Medizin.)
Ein Monat, unermüdlich unterwegs auf den weniger werdenden sicheren Pfaden durch die Stadt, auf der Hut vor den Imagos und den Gangs, Soldaten observierend, um eine Einheit mit einem Rest Selbstbewusstsein zu finden, tatkräftig, aber verunsichert. Eine Einheit nah genug beim Feind.
Wie die in Bermondsey hatte die Truppe, die Sholl endlich für geeignet hielt, sich im Grünen eingeigelt, allerdings außerhalb der akuten Gefahrenzone, im Wald- und Buschland von Hampstead Heath.
Sholl stieg den Parliament Hill hinauf, London im Rücken. Er war noch nicht weit gekommen, als Wachposten aus den Büschen sprangen und ihm Halt geboten.
Die verängstigten jungen Männer schubsten ihn ein wenig herum, durchwühlten seinen Rucksack, und nachdem sie entschieden hatten (auf Grund welcher wissenschaftlichen Erkenntnisse, blieb Sholl ein Rätsel), er sei kein Vampir, trabte einer los und kehrte mit dem kommandierenden Offizier zurück. Sholl hatte die Truppe mehrfach beobachtet, von den Dächern von Gospel Oak aus, und er erkannte den Mann an seinem grauen Haar und seiner militärischen Haltung.
Sie trafen sich in einem Wäldchen ein Stück abseits des Pfades, kein Versteck, aber weitgehend vor Blicken geschützt. Sholl wurde von zwei halbstarken Gefreiten festgehalten, die ohne rechten Nachdruck seine Arme umklammerten. Der Offizier stand vor ihm, und über die linke Schulter des Mannes hinweg konnte Sholl auf das unten ausgebreitete London schauen, bis hin zu dem ehemaligen Post Office Tower, nachmalig
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