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Moloch

Titel: Moloch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: China Miéville , Michael Moorcock , Paul di Filippo , Geoff Ryman
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Telekom Tower und neuerdings etwas gänzlich anderes: eine missgestalte Siegessäule mitten im Herzen Londons, nun Kriegsschauplatz. Spätnachmittags um diese Zeit hörte man regelmäßig das Getöse von Scharmützeln, Schüsse, kleine Explosionen. Lichter funkelten in der Stadt. Taubenschwärme wogten über den zerbombten und von den Imagos korrodierten Dächern.
    Der Offizier grüßte Sholl mit einem knappen Nicken. »Sie kommen, um sich uns anzuschließen?«
    »Ich bin gekommen, um zu fragen«, antwortete Sholl, »ob ihr euch mir anschließen wollt.«

 

     

    Ich will noch einmal beginnen.
    (Meine eigene Sprache ist mir unhandlich geworden. Darin besteht die klassische Gefahr für den verdeckt operierenden Agenten, für den Spion, dass er irgendwann vergisst, wo er selbst aufhört und die Rolle beginnt. Gern würde ich mich unserer natürlichen Sprache bedienen, doch der Einfachheit halber werde ich bei dem bleiben, was mir während der langen Zeit in der Fremde zur zweiten Natur geworden ist.
    Obgleich streng genommen diese Sprache, die mein Volk spricht und die mir nun so schwer fällt –  – ebenso wenig unser Eigen ist wie die Fremde. Sie ist nichts weiter ist als ein Zeichen unserer Gitter. Sie war unser Kerkerargot, sie war unser Jargon, und während wir uns notgedrungen daran gewöhnten, vergaßen wir doch nie unsere eigene Mundart der Berge.)
    Es war eine Schmach und eine Strafe, das will ich nicht beschönigen. Jahrhundertelang haben wir Geschichten um unsere Gefangenschaft gesponnen, doch lange Zeit, das kann man nicht leugnen, waren unsere Fesseln lose.
    Wir saßen in der Falle, und wonach wir gestrebt, wofür wir gekämpft hatten, war verloren, aber Tausende Jahre konnten wir in unserem Gefängnis nach Belieben schalten und walten – fast. Wir lebten in der Verbannung, doch es gibt schlimmere Schicksale. Wir hatten die Freiheit, Dinge zu schaffen, unsere Umgebung zu gestalten, zu sein, was uns gefiel.
    Außer in der Nähe der Seen, an deren Ufern wir ab und an welche von den Unsrigen sehen konnten, regungslos, gebannt, im Tête-à-Tête mit euch erstarrt. Und wohin wir manchmal gezogen wurden. Wasser stellte unsere größte Erniedrigung und Strafe dar.
    Wenn ihr aus euren primitiven Näpfen trankt, war es nicht so schlimm. Ein kleiner Teil von uns wurde vorübergehend in die banale Form eures Mundes gezwungen, aber bis auf diese wenigen Zentimeter waren wir frei und konnten Hassfratzen schneiden. Neigtet ihr das Antlitz jedoch über den See, tauchtet hinein, waren wir an euch gekettet, schauten stumm zu euch auf, zum Äffen eures Mienenspiels verdammt. Wir spürten es, wenn ihr zum Wasser kamt, wurden zu euch gezogen, nickten aus unserer Welt hinüber in eure, sprachlos, ohnmächtig, zum visuellen Echo herabgewürdigt.
    Selbst dann noch war Widerstand möglich.
    Der Wellenschlag des Wassers schenkte uns ein wenig Spielraum zur Rebellion gegen die aufgezwungene Form. Steigt hinein, wünschten wir inbrünstig, während unsere neuen Gesichter euren albernen Durst nachahmten, steigt hinein, und sobald ihr es tatet und das Wasser aufgestört wurde, waren wir teilweise erlöst. Nach wie vor an euch gefesselt mit Banden, die wir nicht zerreißen konnten, doch wie die Oberfläche des Sees in Tropfen zerspritzte, so auch wir. Wir konnten uns eurer Gestalt widersetzen.
    Für lange Zeit, nachdem wir den Krieg verloren hatten, blieb Wasser unsere einzige Folter.
    Dann lerntet ihr, Obsidian zu polieren, und habt uns in seinen schwarzen Glanz gebannt. Seine Härte machte uns frieren und zwang uns erbarmungslos in euer Ebenbild. Doch konntet ihr nur kleine Teile von uns an euch reißen, nur unsere Gesichter versteinern. Außerdem – mochten auch unsere Umrisse Diktat sein – schenkte uns der schwarze Stein eine subtilere Freiheit, eine, die geeignet war, euch zu verstören. Er hielt uns gefangen wie Bernstein die Fliege, doch wenn eure Augen darin euer Spiegelbild suchten, fanden sie nicht euch selbst, sondern uns, die wir euch mit Abscheu entgegenblickten. Obsidian enthüllte uns als Schatten.
    Karfunkel nahmt ihr, Phengit und Smaragd und Blei und Kupfer, Zinn und Bronze und Silber und Gold und Glas.
    Tausende Jahre hindurch vermochtet ihr uns nur unvollkommen zum Frondienst zu pressen, jedes unserer Gefängnisse ließ uns unsere kleinen Freiheiten. Aus der Tiefe schwarzer Steine erwiderten wir finster euren Blick. In Bronze gebildet, ergötzten wir uns an ihrer polierten Blankheit, wissend, dass sie uns

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