Moloch
maskierte. Rost liebten wir: Wo unser Körper hinter seinem Makel verschwand, konnten wir uns nach Belieben gebärden. Grünspan und Trübungen und Kratzer und Fehlstellen waren uns Freibrief, und wenn auch nur in Grenzen, so blieb uns doch Raum zum Spielen.
Silber war ein Fluch. Edelsteine konnten wir ertragen. Die winzigen Vervielfachungen eurer selbst in den Facetten der Juwelen, unsere seltsam lang gezogenen Körper in euren Ringen waren flüchtig und für euch befremdlich und so wenig beachtet, dass wir die Fessel kaum spürten. Doch im Silber und in den Spekula habt ihr uns eingefangen.
Einige von uns erduldeten die Schmach ganzer Wände von Silber, in den Häusern des Adels. Die specula totis paria corporibus. Spiegel von Manneshöhe. Sie zwickten uns wie glühende Zangen, die Eitelkeiten der Reichen Roms.
Was ihr nicht wissen könnt, ist, wie weh es tut. Uns, die wir nicht unsere Körper sind – oder waren; uns, für welche das Fleisch nur eins von möglichen Gewändern darstellte. Nach Belieben konnten wir fliegen oder uns durch den Stängel eines Grashalms schleusen, wir konnten uns in andere Arten des Seins umwandeln, konnten uns zu Wasser verhalten wie Wasser zur Luft. Unbegrenzt waren unsere Möglichkeiten, bis zu dem Moment, da ihr euch selbst anschautet. Es ist ein Schmerz, den ihr euch nicht vorstellen könnt, buchstäblich könnt ihr nicht wissen, wie es sich anfühlt, von einer starken und brutalen kosmischen Hand in eine von Blut durchpulste Zwangsjacke geschnürt zu werden. Die Agonie unseres gestauchten Denkens, eingezwängt in die knöcherne Enge eures Schädels, zähe Sehnen, die unsere Glieder fesseln. Die unerträgliche Qual. Eingekerkert in eure vulgäre Fleischlichkeit.
Wir verfluchten die Sklaven, die euch den Spiegel vorhielten, in jenen frühen Tagen, verfluchten sie und beneideten sie um ihre Freiheit. Unser Hass gärte. Wir schauten euch an, während ihr euch selbst anschautet. Wir fesselten eure Augen mit unseren, den Augen, die wir von euch gezwungen wurden zu tragen. Bis es mehr und mehr von diesen großen Spiegeln gab und unsere Erniedrigung eine neue Stufe erreichte, als nämlich das spiegelnd blank polierte Silber nach und nach in den Alltag Einzug hielt. Nicht länger war jeder Blick hinein ein Ritual, und es kam vor, dass ihr in euer Zimmer tratet (wir mit einem rabiaten Ruck zu euch herangerissen), um euch nach einem flüchtigen Blick abzuwenden. Worauf wir gezwungen waren, uns umzudrehen und ins Leere zu starren, auf nichts, so dass wir euch nicht einmal von Angesicht zu Angesicht hassen konnten.
Manchmal schlieft ihr nahe bei euren Spiegeln und hieltet uns fest, in Qualen, diese Augen von euren Gnaden geschlossen, über Stunden im zähen Seim eures Stupors gefangen.
Glas fürchteten wir nicht. Warum dieses schmutzige, algengrüne Zeug fürchten, das nur geringfügigste Vereinnahmungen ermöglichte? Durchsetzt mit Luftblasen und Schlieren, gewölbt und bestäubt mit Blei und Zinn, höchstens einen Finger lang im Durchmesser – nein, Glas schreckte uns nicht.
Unsere bedeutungslosen, zufälligen Pantomimen boten Gelegenheit, euer Tun zu beobachten. Auch die Verfeinerung der Glasherstellung mittels Pottasche und verbranntem Farn, Kalkstein und Mangan. Wir dachten uns nichts dabei.
Später erinnerten wir uns und erkannten unser Versäumnis. Wir mussten uns nicht wundern über die Quelle unserer Leiden.
Venedig war unser Albtraum. Wo es keine Reflexion gab, hinderte uns nichts, unsere Welt nach unseren Wünschen einzurichten, doch wo Spiegel oder blankes Metall oder Wasser eure Häuser sah, hatten wir keine andere Wahl, als unsererseits die Pendants zu erschaffen, nicht selten binnen eines Lidschlags, mit all der Mühsal und Pein, die es erforderte. An den meisten Orten kamen und gingen eure Geschmacksverirrungen in kurzen Abständen, je nachdem wie der Spiegel, die reflektierende Fläche bewegt wurde und eine Mauer, einen Turm einfing. Venedig jedoch, die Stadt der Kanäle, zwang uns, in eurer Architektur zu leben. Sogar in dem erbarmenden Gefängnis des Wassers, welches unsere Ziegelmauern in Wellen gelöst gegen eure Bauten tändeln ließ, waren wir versklavt wie nirgends sonst.
Und unter der Ägide Venedigs geschah es auch, vor mehr als einem halben Jahrtausend, dass die Epoche unserer Erniedrigung zu der unserer Verzweiflung wurde.
In den Öfen von Murano (beobachtet in den Gegenbildern, die wir durch euch zu erhalten gezwungen waren, in Pfützen und in den
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