Moloch
den Lärm, verweigerte ihm ein Echo.
Nichtsdestotrotz lag der schwerste Teil der selbst gestellten Aufgabe noch vor ihm. Er musste sich beschaffen, was er brauchte. Sholl spähte in den Eingang der Station, schaute in die Augen der Vampire, die ihn immer noch beobachteten, vage als Schemen erkennbar. Erneut überfiel ihn die Angst.
Er schluckte. Ach, was soll’s, dachte er mit zusammengebissenen Zähnen. Und wenn’s mich erwischt, wen kümmert’s?
Er setzte sich in Bewegung, ging auf die geflieste Treppe zu, den schwarzen Schlund, in den viele Vampire und die Fauna der Spiegel geflüchtet waren.
Ein kollektives Winseln der Kreaturen im Innern begrüßte ihn. Hände trippelten durch den Staub, verkrochen sich in Löchern und Spalten, die Augen und Lippen verschwanden mit einem Zwinkern, einem Schmatz auf eine andere Ebene.
Die Vampire heulten und schwangen sich affengleich in die Lichtschächte, um zu den Höhlen im hinteren Bereich der Station zu gelangen, zu den Treppen. Echos geisterten durch die Halle. Die Kabel an den zerstörten Aufzügen tönten wie die Saiten einer Riesenharfe unter dem Gewicht der Vampire, die sich hangelnd außer Sicht- und Reichweite brachten.
Sholl schritt in die Stille hinein. Stieg über das Skelett eines Angestellten der U-Bahn hinweg, kenntlich an den Lumpen seiner blauen Uniform. Bei der elektronischen Sperre blieb er stehen und lauschte.
Die Zeit lief ihm davon. Immer noch spürte er seine Angst, ungemindert, als hätte die plötzliche Verwegenheit sie nicht verdrängt, sondern nur überlagert.
Er flankte über die Schranke und tastete sich in den rückwärtigen Teil der vollkommen im Dunkeln liegenden Station.
Der Lichtkegel seiner Taschenlampe stöberte wie ein Tier, wie ein Blindenhund nach einem gangbaren Pfad zwischen verbogenem Metall und absonderlichem Imago-Detritus – unkenntliche verwesende Gebilde, organische, aus dem Nichts entstandene Strukturen. Der Boden klebte. Sholls Schritte waren das einzige Geräusch, sie wanderten voraus in den dunkelsten Abschnitt des Korridors, zehn Stufen hinunter in absolute Finsternis, näherten sich dem Schacht und dem schwarzen Eisen der Wendeltreppe, die sich im Uhrzeigersinn um eine rostzerfressene Spindel herum abwärts schraubte, begleitet von dem abgegriffenen Handlauf.
Sholl stand auf der obersten Stufe und richtete die Taschenlampe in den schmalen Spalt zwischen dem Geländer rechts und der Spindel. Der Lichtstrahl fiel auf weitere Stufen. Sholl bewegte ihn weiter, bis das Licht an der Geländerbiegung genau unter ihm vorbeistieß, und an der nächsttieferen, und dann versickerte, lange bevor es den Boden berührte. Nichts regte sich im Bereich der Helligkeit. Kein Laut drang aus der Tiefe.
Aber sie sind in diese Richtung verschwunden, dachte Sholl.
Er setzte den Fuß auf die nächste Stufe. Die Bewegung verursachte ein leises Geräusch. Er wartete einen Moment, dann stieg er langsam weiter nach unten.
Auf jeder Stufe blieb er stehen, durchforschte mit allen Sinnen die Finsternis ringsumher, bevor er den Abstieg fortsetzte. Der eigene hastige Atem klang ihm überlaut in den Ohren. Er hing im Nichts. Hinter ihm stieg die Treppenspirale steil nach oben in formlose Schwärze. Er leuchtete dorthin zurück, um sicher zu sein, dass ihm niemand folgte. Die Mittelsäule so dicht an seiner Schulter flößte ihm Unbehagen ein. Seine Fantasie gaukelte ihm vor, dass dahinter verborgen ein Etwas sich einige Stufen tiefer Schritt für Schritt mit ihm bewegte, immer so, dass er es nicht sehen konnte. Er rückte so weit wie möglich davon ab, bis seine andere Schulter die Mauerbiegung des Treppenschachts streifte, versuchte, mit den Blicken die Finsternis zu durchdringen.
So tastete er sich hinter seinem Lichtkegel weiter nach unten wie in einen schwarzen Teich, zu den kalten Zugröhren irgendwo am Grund.
Der monotone Rhythmus der Schritte lullte ihn ein, der gemächliche Abstieg immer rundherum wirkte hypnotisierend. Da waren verstohlene Geräusche am Rand der Nicht-Sichtbarkeit, Kratzen, Scharren und Flattern der streunenden Imagos, der kleinen, zusammenhanglosen Bilder von Händen und Augen und Genitalien, die sich vor dem, der da kam, in Sicherheit brachten. Möglicherweise waren es auch andere Wesen: die letzten Überlebenden der Ratten- und Mäusepopulation auf der Flucht vor den räuberischen Reflexionen.
Der Lichtstrahl, der von Stufe zu Stufe glitt, berührte plötzlich etwas, das sich bewegte. Unwillkürlich schrie
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