Moloch
Sholl auf und vollführte mit der Taschenlampe Kreuz- und Querhiebe wie mit einem Säbel, bis ihr Schein ein Gesicht aus der Dunkelheit riss, eine Reihe von Gesichtern, viele, Lippen dünn und verkniffen, Augen groß und auf ihn geheftet.
Stumm blockierten die Vampire die Treppe. Er konnte sie nicht zählen – zwanzig mindestens, in ihren grotesk normalen Alltagskleidern. Sie rührten kein Glied, warteten auf ihn, ließen ihn nicht aus den Augen, während er die Taschenlampe von einem Gesicht zum anderen wandern ließ. Die Verengung der Pupillen war jeweils die einzige Reaktion von ihrer Seite.
Sholl atmete hastig, sein Herz schlug Trommelwirbel. Er wartete darauf, dass die Vampire sich auf ihn stürzten, doch sie machten keine Anstalten dazu. Das Tableau hielt eine kleine Ewigkeit. Endlich setzte Sholl den Fuß auf die nächsten Stufe. Die Vampire taten es ihm gleich, in perfekter Abstimmung, wie eine makabre Tanzgruppe, wogten rückwärts, blieben außer Reichweite. Die nächste Stufe und das gleiche Manöver, und aus ihren Reihen stieg ein leises Summen, ein ängstliches, unangenehmes Geräusch.
In Sholl keimte Wut auf. Er zielte mit dem Gewehr in die Menge, doch ohne abzudrücken. Er ging schnell hintereinander mehrere Stufen nach unten, und wie einstudiert wichen auch sie schneller zurück, wurde die Geräuschuntermalung lauter.
Unvermittelt warf Sholl sich mit einem Satz die Treppe hinunter auf die menschlichen Gestalten, und die Schrotflinte schwang an ihrem Riemen auf den Rücken. Seine blitzschnell vorschießende Hand krallte sich in das Revers des vordersten Vampirs. Die Kreatur kreischte, riss sich los und schoss an ihm vorbei die Treppe hinauf. Sholl konnte nur mit Mühe einen Sturz vermeiden, wurde vom eigenen Schwung torkelnd weitergerissen. Der von Wand zu Wand schlingernde Strahl der Taschenlampe beleuchtete streiflichtartig die kalten, ausdruckslosen Züge der Vampire.
Den ein oder anderen versuchte Sholl zu greifen, bekam Stoff und Fleisch, sogar Knochen zu fassen, doch immer wieder gelang es dem Betreffenden, sich loszureißen.
Sholl schwang das Gewehr. Es schepperte gegen die Mauer.
Unter wütendem Gebrüll grabschte er nach den Gestalten, die sich wegduckten, auseinander wichen. Er stolperte die eisernen Stufen hinunter, vergeblich Halt am Geländer suchend. Unerwartet traf sein Fuß auf ebenen Boden, der Ruck brachte ihn vollends aus dem Gleichgewicht und er fiel der Länge nach hin. Die Taschenlampe rollte von ihm weg, sandte den Lichtstrahl tanzend über Decken und Wände.
Sholl hob mühsam den Kopf. Schwärze über ihm wogte mit der Drehung der Taschenlampe auf und nieder. Rings herum ragten Dutzende von Gestalten, die Vampire, von Schatten modelliert. Heulend sprang er auf, stürmte auf sie zu, tiefer hinein in die unterirdischen Gänge, einem Schild folgend, auf dem stand: ZU DEN GLEISEN.
In sicherem Abstand begleiteten die Vampire ihn in die Dunkelheit, vermieden jede Berührung, waren stets um Millimeter außerhalb seiner Reichweite, wenn er die Hände nach ihnen ausstreckte.
Sholl schwang das Gewehr wie eine Keule. Er hätte nichts lieber getan, als mitten in sie hineingefeuert, sie gegeneinander geschleudert, zu blutiger Unkenntlichkeit zerschmettert. Doch er fürchtete, sie würden weglaufen, und er musste eines von ihnen habhaft werden, einen zu fassen kriegen.
Seine mit Angst gemischte Wut und seine Frustration machten sich in einem unartikulierten Aufschrei Luft. Die Taschenlampe lag mittlerweile weit hinter ihm, ein Fleck diffuser Helligkeit am Fuß der Treppe. Er watete durch Tintenschwärze, die Vampire flankierten ihn schemenhaft wie Gespenster. Sobald Sholl sich anschickte, einen Ausfall zu unternehmen, entschlüpften sie; ihre Augen irrlichterten körperlos durch das Dunkel.
Verschwinde, hörte er sie denken.
Dies ist unser Zuhause. Hau ab. Lass uns in Ruhe.
Sholl stampfte mit dem Fuß auf wie ein Kind, und wieder schrie er seine Wut hinaus. Sie ließen ihn nicht nahe genug an sich herankommen. Standen knapp jenseits der Schattenzone und warteten darauf, dass er wegging. Er verfluchte sie, während er tiefer und tiefer in ihr Reich der Finsternis hineinstapfte. Endlich lehnte er sich erschöpft, von Verzweiflung übermannt, gegen die Mauer.
Etwas bahnte sich einen Weg durch die schweigende Menge. Er hörte, wie es näher kam, die Reihen auseinander schob. Es stieß dabei ein tiefes Knurren aus, und Sholl blickte auf, in die Dunkelheit, nicht mit verständlichem
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