Mond über Manhattan
sie. «Die Tatsachen mögen hier und da nicht ganz korrekt sein, aber er hat die Wahrheit gesagt.»
«Eine profunde Antwort», sagte Barber. «Zweifellos die einzig vernünftige.»
«Das fürchte ich auch», sagte ich. «Selbst wenn es diese Höhle in Wirklichkeit nicht gegeben hat, hatte er auf jeden Fall so etwas wie ein Höhlenerlebnis. Es hängt alles davon ab, wie wörtlich Sie ihn nehmen wollen.»
«In diesem Fall», fuhr Barber fort, «lassen Sie mich die Frage anders formulieren. Angenommen, daß wir nicht sicher sein können: Was meinen Sie, ein wie großes Risiko ist die Sache wert?»
«Was meinen Sie mit Risiko?»
«Das Risiko, unsere Zeit zu vergeuden.»
«Ich verstehe noch immer nicht.»
«Er will nach der Höhle suchen», erklärte Kitty mir. «Hab ich nicht recht, Sol? Sie wollen aufbrechen und versuchen, sie zu finden.»
«Sie sind sehr scharfsinnig, meine Liebe», sagte Barber. «Genau das schwebt mir vor, und die Versuchung ist groß. Wenn die Möglichkeit besteht, daß es diese Höhle gibt, bin ich bereit, alles zu tun, was ich kann, um sie ausfindig zu machen.»
«Die Möglichkeit besteht durchaus», sagte ich. «Die Möglichkeit mag nicht sehr groß sein, aber ich wüßte nicht, warum Sie sich davon abhalten lassen sollten.»
«Allein kann er das nicht machen», sagte Kitty. «Das wäre zu gefährlich.»
«Allerdings», sagte ich. «Niemand sollte allein in den Bergen herumklettern.»
«Besonders nicht so fette Leute wie ich», sagte Barber.
«Aber das sind Einzelheiten, die erst später drankommen. Wichtig ist zunächst einmal, daß Sie denken, daß ich es tun sollte. Habe ich recht?»
«Wir könnten es doch zusammen machen», sagte Kitty. «M. S. und ich könnten Sie begleiten.»
«Natürlich», sagte ich. Plötzlich sah ich mich in Hinterwäldlerkluft auf einem Palomino-Gaul den Horizont absuchen. «Wir finden diese verdammte Höhle, und wenn es das letzte ist, was wir in unserem Leben tun werden.»
Ehrlich gesagt, ich habe das alles nicht ernst genommen. Ich hielt das für eine dieser Schnapsideen, die man zu nächtlicher Stunde ausheckt und am nächsten Morgen wieder vergessen hat. Und obwohl wir jedesmal, wenn wir uns trafen, von neuem auf diese «Expedition» zu sprechen kamen, betrachtete ich das Ganze doch eher als Witz. Es machte Spaß, Landkarten und Fotografien zu studieren, Fahrpläne und Wetterbedingungen zu erörtern, aber diese scheinbar ernste Beschäftigung mit dem Projekt bedeutete noch lange nicht, daß ich daran glaubte. Utah war so weit weg, und die Chancen, ein solches Unternehmen auf die Beine zu stellen, waren so dürftig, daß mir, selbst wenn Barber es ernst meinte, unklar blieb, wie sich das machen lassen sollte. In dieser Skepsis wurde ich eines Sonntagnachmittags im Februar noch bestärkt, als ich Barber in Berkshire County durch den Wald wandern sah. Der Mann war so extrem übergewichtig, so unbeholfen auf den Beinen, so furchtbar kurzatmig, daß er keine zehn Minuten gehen konnte, ohne anzuhalten und zu verschnaufen. Rot im Gesicht vor Anstrengung, ließ er sich auf den nächsten Baumstumpf sinken und blieb dort genauso lange sitzen, wie er vorher gegangen war; sein gewaltiger Brustkorb hob und senkte sich verzweifelt, der Schweiß troff ihm aus seiner Schottenmütze, als ob sein Kopf ein schmelzender Eisblock wäre. Wenn das die sanften Hügel von Massachusetts mit ihm machten, dachte ich, wie sollte er dann mit den Canyons von Utah fertig werden? Nein, die Expedition war eine Farce, eine schrullige kleine Übung im Wunschdenken. Solange wir nur davon sprachen, bestand kein Anlaß zur Sorge. Doch falls Barber sich tatsächlich einmal dazu entschließen sollte, waren Kitty und ich uns einig, daß wir die Pflicht hätten, ihm die Sache auszureden.
In Anbetracht meines anfänglichen Widerstandes war es schon witzig, daß am Ende ich es war, der nach der Höhle suchen ging. Und zwar nur acht Monate nachdem wir zum erstenmal von der Expedition gesprochen hatten; aber bis dahin war so vieles passiert, war so vieles kaputt und in die Brüche gegangen, daß meine anfänglichen Empfindungen gar keine Rolle mehr spielten. Ich ging, weil mir nichts anderes übrig blieb. Nicht daß ich gehen wollte; nein, die Umstände hatten es mir schlicht unmöglich gemacht, nicht zu gehen.
Ende März entdeckte Kitty, daß sie schwanger war, und Anfang Juni hatte ich sie verloren. Binnen weniger Wochen zerbrach unser ganzes Leben, und als mir schließlich klar wurde, daß
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