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Mond über Manhattan

Mond über Manhattan

Titel: Mond über Manhattan Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paul Auster
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der Schaden nie mehr zu beheben war, fühlte ich mich, als sei mir das Herz herausgerissen worden. Bis dahin hatten Kitty und ich in übernatürlicher Harmonie zusammengelebt, und je länger dies währte, desto unwahrscheinlicher schien es, daß irgend etwas sich zwischen uns stellen könnte. Wenn wir in unserer Beziehung ein wenig streitlustiger gewesen wären, wenn wir uns ab und zu mal gezankt und mit Geschirr beworfen hätten - vielleicht hätten wir dann besser auf diese Krise reagieren können. Aber so schlug ihre Schwangerschaft wie eine Kanonenkugel in unseren kleinen Teich, und ehe wir uns gegen die Druckwelle wappnen konnten, war unser Boot schon davongespült, und wir schwammen ums liebe Leben.
    Mit unserer Liebe hatte das nichts zu tun. Selbst wenn wir uns stritten, daß die Fetzen flogen und die Tränen flossen, widerriefen wir nie, leugneten wir nie die Tatsachen, behaupteten niemals, daß unsere Gefühle sich gewandelt hätten. Wir sprachen nur nicht mehr dieselbe Sprache. Für Kitty bedeutete Liebe: wir beide, und sonst nichts. Ein Kind gehörte nicht dazu, und daher mußte jede Entscheidung, die wir trafen, ausschließlich von dem abhängen, was wir für uns beide haben wollten. Für Kitty war das Kind, wenngleich sie es in ihrem Bauch trug, nichts als ein abstrakter Begriff, eher ein hypothetisches zukünftiges Leben als ein bereits entstandenes. Bis zur Geburt existierte es für sie nicht. Von meinem Standpunkt aus jedoch hatte das Baby in dem Augenblick zu existieren begonnen, als Kitty mir eröffnete, daß sie es in sich trage. Auch wenn es nicht größer als ein Daumen war, war es ein Mensch, eine unausweichliche Realität. Wenn wir es nun abtreiben ließen, wäre das für mich dasselbe wie ein Mord.
    Kitty hatte alle Argumente auf ihrer Seite. Ich wußte das, und doch machte es für mich kaum einen Unterschied. Ich blieb störrisch bei meiner Unvernunft, entsetzte mich immer mehr über meine Heftigkeit, vermochte aber nicht dagegen anzugehen. Sie sei zu jung, um Mutter zu werden, sagte Kitty zum Beispiel, und obwohl ich diesen Standpunkt für gerechtfertigt hielt, war ich nicht bereit, ihr auch recht zu geben. Unsere eigenen Mütter waren auch nicht älter, als du jetzt bist, gab ich dann zur Antwort, eine Beziehung zwischen zwei Situationen herstellend, die gar nichts miteinander zu tun hatten, und damit waren wir dann auch gleich beim Kern des Problems. Wie schön für unsere Mütter, erwiderte Kitty darauf, aber wie könne sie weiter tanzen, wenn sie sich um ein Baby zu kümmern habe? Worauf ich selbstgefällig so tat, als wüßte ich, wovon ich redete, und entgegnete, daß ich mich um das Baby kümmern würde. Unmöglich, sagte sie dann, du kannst einem Kind doch nicht die Mutter wegnehmen. Ein Kind bringt eine ungeheure Verantwortung mit sich, und die muß man ernst nehmen. Eines Tages wolle sie sehr gern mit mir Kinder haben, sagte sie, aber jetzt sei noch nicht der richtige Zeitpunkt dafür, sie sei einfach noch nicht dazu bereit. Aber der Zeitpunkt ist da, sagte ich. Ob es dir gefällt oder nicht, wir haben ein Baby gemacht, und jetzt müssen wir die Dinge nehmen, wie sie sind. Worauf Kitty, von meinen starrsinnigen Argumenten zur Verzweiflung gebracht, jedesmal in Tränen ausbrach.
    Es war mir äußerst unangenehm, sie weinen zu sehen, aber nicht einmal ihre Tränen konnten mich zum Nachgeben bewegen. Ich sah Kitty an und sagte mir, ich sollte einlenken, sie in die Arme nehmen und ihren Willen akzeptieren, aber je mehr ich mich mühte, meine Gefühle zu besänftigen, desto unbeugsamer wurde ich. Ich wollte Vater werden, und jetzt, mit dem Ziel so nah vor Augen, konnte ich den Gedanken nicht ertragen, es wieder in weite Ferne rücken zu sehen. Das Baby war für mich die Chance, mir die Einsamkeit meiner Kindheit zu entgelten, Teil einer Familie zu sein, etwas anzugehören, das mehr war als nur ich selbst, und da ich mir dieses Verlangens bis dahin nicht bewußt gewesen war, strömte es nun unartikuliert und mit gewaltiger Verzweiflung aus mir heraus. Wenn meine Mutter vernünftig gewesen wäre, schrie ich Kitty an, dann wäre ich nie auf die Welt gekommen. Und ohne sie antworten zu lassen: Wenn du unser Baby tötest, wirst du mich gleich mit umbringen.
    Die Zeit war gegen uns. Wir hatten nur ein paar Wochen, um eine Entscheidung zu treffen, und der Druck wurde mit jedem Tag größer. Es gab kein anderes Thema mehr für uns, wir redeten unaufhörlich davon, argumentierten hin und her bis

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