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Mond über Manhattan

Mond über Manhattan

Titel: Mond über Manhattan Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paul Auster
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Fittiche, als hätte er vor, uns zu adoptieren. Und da Kitty und ich beide Waisen waren, schienen wir alle von dieser Konstellation zu profitieren.
    Als wir ihn an jenem Abend zum erstenmal besuchten, erzählte uns Barber, daß Effings Nachlaß geregelt sei. Er habe eine ganze Menge Geld geerbt, sagte er, und sei zum erstenmal in seinem Leben nicht von seiner Arbeit abhängig. Wenn alles nach seinen Wünschen verlaufe, werde er zwei oder drei Jahre lang nicht mehr unterrichten müssen. «Das ist meine Chance, mich mal so richtig auszuleben», sagte er, «und ich gedenke das Beste daraus zu machen.»
    «Bei dem vielen Geld, das Effing hatte», sagte ich, «hätte ich gedacht, Sie könnten für immer mit der Arbeit aufhören.»
    «Leider nicht. Ich mußte Erbschaftssteuer zahlen, Vermögenssteuer, Anwaltsgebühren, Sachen, von denen ich nie zuvor gehört hatte. Da war schon mal ein großer Batzen weg. Im übrigen war von Anfang an wesentlich weniger da, als wir gedacht hatten.»
    «Also nicht mehrere Millionen?»
    «Ach wo. Bloß mehrere zehntausend. Als alles erledigt war, waren für Mrs. Hume und mich jeweils noch rund sechsundvierzigtausend Dollar übrig.»
    «Ich hätt’s mir denken können», sagte ich. «Er tat immer, als sei er der reichste Mann von New York.»
    «Ja, ich glaube wirklich, er neigte zu Übertreibungen. Aber es sei mir fern, ihm deswegen Vorwürfe zu machen. Ich habe sechsundvierzigtausend Dollar von jemandem geerbt, den ich niemals kennengelernt habe. Das ist mehr Geld, als ich je in meinem Leben besaß. Ein ungeheurer Glücksfall, ein unvorstellbarer Segen.»
    Barber erzählte uns, daß er während der letzten drei Jahre an einem Buch über Thomas Harriot gearbeitet habe. Normalerweise hätte er noch zwei weitere Jahre gebraucht, um es zu beenden, jetzt aber, da er keine anderen Verpflichtungen mehr hatte, glaubte er, bis Mitte des Sommers, also in sechs oder sieben Monaten, damit fertig werden zu können. Das brachte ihn auf das Projekt, das er mir gegenüber am Telefon erwähnt hatte. Er spiele erst seit ein paar Wochen mit dieser Idee, sagte er, und er wolle zunächst meine Meinung hören, ehe er sich der Sache ernstlich zuwende. Es wäre etwas für später, etwas, das nach der Beendigung des Buchs über Harriot in Angriff zu nehmen wäre, aber sollte das Projekt wirklich durchgeführt werden, seien beträchtliche Planungen erforderlich. «Ich denke, es läuft auf eine einzige Frage hinaus», sagte er, «und ich erwarte gar nicht, daß Sie mir eine uneingeschränkte Antwort geben können. Aber wie die Dinge liegen, ist Ihre Meinung die einzige, der ich vertrauen kann.»
    Das Abendessen war jetzt beendet, und ich erinnere mich, daß wir drei noch immer um den Tisch saßen, Cognac tranken und Zigarren rauchten, die Barber kürzlich bei einer Reise nach Kanada herübergeschmuggelt hatte. Wir waren alle leicht angetrunken, und in der Laune des Augenblicks hatte auch Kitty eine der enormen Churchill-Zigarren genommen, die Barber uns angeboten hatte. Amüsiert sah ich zu, wie sie in ihrem chipao bedächtig daran herumpaffte, doch nicht minder komisch war der Anblick Barbers, der sich für unser Treffen mit einer burgunderroten Hausjacke und einem Fez ausstaffiert hatte.
    «Wenn ich der einzige bin», sagte ich, «dann muß es etwas mit Ihrem Vater zu tun haben.»
    «Ja, das stimmt, das stimmt genau.» Um seine Antwort zu unterstreichen, legte Barber den Kopf zurück und blies einen perfekten Rauchring in die Luft. Kitty und ich sahen ihm bewundernd nach, beobachteten, wie das O an uns vorbeiwallte und langsam seine Form verlor. Nach einer kurzen Pause senkte Barber seine Stimme um eine volle Oktave und fuhr fort: «Ich habe über die Höhle nachgedacht.»
    «Ach, die Höhle», wiederholte ich. «Die mysteriöse Höhle in der Wüste.»
    «Ich muß ständig daran denken. Das ist wie mit irgendeinem alten Lied, das einem nicht aus dem Kopf will.»
    «Ein altes Lied. Eine alte Geschichte. Da gibt es kein Entrinnen. Aber wie sollen wir sicher sein, daß diese Höhle überhaupt existiert hat?»
    «Genau das wollte ich Sie fragen. Sie haben die Geschichte doch gehört. Was meinen Sie, M. S.? Hat er die Wahrheit erzählt oder nicht?»
    Bevor ich meine Gedanken sammeln konnte, um ihm zu antworten, beugte Kitty sich auf ihrem Ellbogen vor, sah nach links zu mir, sah nach rechts zu Barber und faßte dann das ganze komplizierte Problem in zwei Sätzen zusammen. «Natürlich hat er die Wahrheit gesagt», sagte

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