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Mond über Manhattan

Mond über Manhattan

Titel: Mond über Manhattan Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paul Auster
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schenken.»
    Inzwischen standen wir draußen vor dem Hotel und warteten, daß der Portier ihm ein Taxi heranwinkte. Als es dann Zeit wurde, uns zu verabschieden, war Barber unerklärlicherweise den Tränen nahe. Ich hielt das für eine verspätete Reaktion auf die ganze Situation, glaubte, das Wochenende sei am Ende doch zuviel für ihn gewesen - aber natürlich hatte ich keine Ahnung, was er da durchmachte, ich hatte ja nicht einmal die Spur einer Vorstellung davon. Er nahm Abschied von seinem Sohn, während ich bloß einen neuen Freund verabschiedete, einen Mann, den ich gerade zwei Tage zuvor kennengelernt hatte. Das Taxi stand vor ihm, der Taxameter tickte seinen fiebrigen kleinen Rhythmus, während der Portier Barbers Tasche in den Kofferraum lud. Barber machte eine Geste, als wollte er mich zum Abschied umarmen, überlegte es sich aber im letzten Moment anders, packte mich nur verlegen an beiden Schultern und drückte sie fest.
    «Sie sind der erste Mensch, dem ich diese Sachen erzählt habe», sagte er. «Danke, daß Sie mir so gut zugehört haben. Ich habe. wie soll ich mich ausdrücken. ich habe das Gefühl, wir sind jetzt miteinander verbunden.»
    «Es war ein denkwürdiges Wochenende», sagte ich.
    «Ja, das war es. Ein denkwürdiges Wochenende. Das beste Wochenende aller Zeiten.»
    Darauf manövrierte Barber seine enorme Masse in den Wagen, gab mir durchs Heckfenster mit dem Daumen zu verstehen, daß alles in Ordnung sei, und verschwand im Verkehrsgewühl. In diesem Moment glaubte ich nicht daran, ihn jemals wiederzusehen. Wir hatten unser Geschäft erledigt, alles erkundet, was zu erkunden war, und damit schien mir die Sache vorbei zu sein. Selbst als in der folgenden Woche das Manuskript von Keplers Blut mit der Post eintraf, war dies für mich keine Fortsetzung dessen, was wir angefangen hatten, sondern eher ein Abschluß, ein letzter kleiner Schnörkel unter unsere Begegnung. Barber hatte versprochen, es mir zu schicken, und ich nahm an, er tue es bloß aus Höflichkeit. Am nächsten Tag schrieb ich ihm einen Dankesbrief, wiederholte noch einmal, wie sehr es mich gefreut habe, ihn kennenzulernen, und verlor dann, scheinbar für immer, den Kontakt mit ihm.
    Mein Paradies in Chinatown hatte derweil Bestand. Kitty tanzte und studierte, und ich schrieb und ging spazieren. Es kam der Kolumbus-Tag, es kam Thanksgiving, es kamen Weihnachten und Neujahr. Dann läutete eines Vormittags Mitte Januar das Telefon, am anderen Ende der Leitung war Barber. Ich fragte ihn, von wo aus er anrufe, und als er New York sagte, schwang hörbar Glück und Begeisterung in seiner Stimme.
    «Wenn Sie ein wenig Zeit haben», sagte ich, «würde ich mich gern noch einmal mit Ihnen treffen.»
    «Ja, das wünsche ich mir auch sehr. Aber lassen Sie sich von mir nicht bei Ihren Vorhaben stören. Ich will nämlich eine ganze Weile hierbleiben.»
    «Ihr College scheint ja lange Pausen zwischen den Semestern zu machen.»
    «Nein, ich habe mal wieder Urlaub genommen. Bis September habe ich frei, und bis dahin wollte ich mal versuchen, in New York zu leben. Ich wohne zur Untermiete an der Tenth Street, in dem Block zwischen Fifth und Sixth Avenue.»
    «Eine schöne Gegend. Bin oft dort vorbeigekommen.»
    «Reizend und gemütlich, wie es in den Immobilienanzeigen heißt. Ich bin zwar erst gestern abend eingezogen, aber es gefällt mir sehr. Sie und Kitty müssen mich mal besuchen kommen.»
    «Sehr gern. Sagen Sie wann, und wir werden kommen.»
    «Prächtig. Ich rufe Ende der Woche noch einmal an, sobald ich mich eingerichtet habe. Ich habe da ein Projekt, das ich mit Ihnen besprechen möchte, also machen Sie sich darauf gefaßt, sich inspirieren zu lassen.»
    «Weiß nicht, ob es da viel zu inspirieren gibt, aber rücken Sie nur immer damit heraus.»
    Drei oder vier Tage später besuchten Kitty und ich Barber zum Abendessen, und danach begannen wir uns ziemlich oft zu treffen. Die Initiative ging von Barber aus, und falls er mit irgendwelchen Hintergedanken um unsere Freundschaft warb, nahmen wir beide jedenfalls nichts davon wahr. Er lud uns ein in Restaurants, Kinos und Konzerte, er fragte uns, ob wir ihn zu sonntäglichen Ausflügen aufs Land begleiten wollten, und da der Mann uns so gutmütig und herzlich entgegenkam, vermochten wir nicht nein zu sagen. Mit seinen exotischen Hüten, die er allenthalben trug, ständig Witze reißend und ungerührt von dem Aufsehen, das er in der Öffentlichkeit erregte, nahm Barber uns unter seine

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