Mond über Manhattan
spät in die Nacht, sahen unser Glück in einem Meer von Wörtern und erschöpften Schuldzuweisungen versinken. Denn so lange wir auch redeten, keiner von uns beiden wollte von seiner ursprünglichen Position abrücken. Kitty war es, die das Kind in sich trug, und daher oblag es mir, sie zu überzeugen, nicht umgekehrt. Als ich schließlich merkte, daß es hoffnungslos war, sagte ich ihr, sie solle doch machen, was sie wolle. Ich hätte keine Lust mehr, ihr weiter zuzusetzen. Fast im gleichen Atemzug fügte ich hinzu, daß ich auch die Operation finanzieren würde.
Die Gesetze waren damals noch anders, und legal war eine Abtreibung nur möglich, wenn eine Frau sich von einem Arzt bestätigen ließ, daß die Geburt des Kindes für sie lebensgefährlich wäre. Im Bundesstaat New York wurde diese Vorschrift weit genug ausgelegt, daß auch «geistige Gefährdung» darunterfiel (worunter ein möglicher Selbstmordversuch der betreffenden Frau im Falle der Geburt des Kindes verstanden wurde); ein psychiatrisches Gutachten galt daher ebensoviel wie das eines normalen Arztes. Da Kitty körperlich bei bester Gesundheit war und da ich nicht wollte, daß sie illegal abtrieb - in dieser Beziehung hegte ich die schlimmsten Befürchtungen -, blieb ihr nichts anderes übrig, als nach einem Psychiater zu suchen, der bereit wäre, ihr entgegenzukommen. Schließlich fand sie einen, aber dessen Dienste waren nicht billig. Zusammen mit den Rechnungen vom St. Luke’s Hospital für die eigentliche Abtreibung kostete es mich am Ende mehrere tausend Dollar, mein Kind zu beseitigen. Ich war fast wieder pleite, und als ich im Krankenhaus an Kittys Bett saß und den erschöpften und gequälten Ausdruck auf ihrem Gesicht sah, da wußte ich nur zu genau, daß alles aus war, daß mir mein ganzes Leben genommen worden war.
Am nächsten Morgen fuhren wir zusammen nach Chinatown zurück, aber von da an war es nie mehr wie früher. Wir hatten uns beide eingeredet, das Geschehene vergessen zu können, doch als wir versuchten, unser altes Leben wiederaufzunehmen, stellten wir fest, daß es nicht mehr da war. Nach dem schrecklichen, wochenlangen Zank und Gerede verfielen wir nun beide in Schweigen, als hätten wir Angst, einander in die Augen zu sehen. Die Abtreibung war schwieriger gewesen, als Kitty gedacht hatte, und trotz ihrer Überzeugung, daß sie das Richtige getan habe, mußte sie es jetzt für falsch halten. Deprimiert und mitgenommen von dem, was sie durchgemacht hatte, hing sie düster in unserem Speicher herum, als sei sie in tiefer Trauer. Mir war klar, daß ich sie eigentlich trösten müßte, aber ich brachte einfach nicht die Kraft auf, meinen eigenen Schmerz zu überwinden. Ich saß nur da und sah sie leiden, und irgendwann erkannte ich, daß mir das Spaß machte, daß sie ruhig zahlen sollte für das, was sie getan hatte. Das war wohl der schlimmste Augenblick von allen, und als ich endlich begriff, wie häßlich und grausam es in meinem Innern aussah, war ich über mich selbst entsetzt. So ging das nicht weiter. Ich konnte es nicht mehr ertragen, ich selbst zu sein. Jedesmal wenn ich Kitty ansah, sah ich nur meine eigene verächtliche Schwäche, das schaurige Spiegelbild dessen, was aus mir geworden war.
Ich sagte ihr, ich müsse eine Weile weggehen, um mir über einiges klarzuwerden, aber das sagte ich nur, weil ich nicht den Mut hatte, ihr die Wahrheit zu sagen. Kitty begriff jedoch sofort. Sie brauchte diese Worte nicht zu hören, denn sie wußte auch so, was vor sich ging; und als sie mich am nächsten Morgen meine Sachen packen und mich zum Gehen bereitmachen sah, flehte sie mich an, ich solle bei ihr bleiben, ja sie fiel sogar vor mir auf die Knie und bettelte, ich solle sie nicht verlassen. Ihr Gesicht war völlig verzerrt und tränenüberströmt, aber ich war inzwischen kalt wie ein Stein, nichts konnte mich mehr aufhalten. Ich legte meine letzten tausend Dollar auf den Tisch und sagte Kitty, sie könne darüber verfügen, solange ich nicht da sei. Dann ging ich durch die Tür. Ich schluchzte schon, als ich endlich unten auf der Straße angekommen war.
SIEBTES KAPITEL
Barber nahm mich für den Rest des Frühjahrs in seiner Wohnung auf. Einen Zuschuß zur Miete wollte er mich nicht zahlen lassen, aber da meine Mittel fast wieder auf Null geschrumpft waren, besorgte ich mir gleich einen Job. Ich schlief auf der Couch im Wohnzimmer, stand jeden Morgen um halb sieben auf und verbrachte meine Tage damit, für einen
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