Monde der Finsternis 03 - Mond der Ewigkeit
habe noch aufgeblinkt, aber der ist seelenruhig auf uns zugelaufen. Wie ein Selbstmörder.“
Charles war kreidebleich, seine Hände zitterten. Der Schock war nicht gespielt. Dennoch fragte sie sich, ob die lange Fahrt ihn überfordert hatte und ihm Visionen vorgaukelte. „Ich habe niemanden gesehen“, erwiderte Amber. Dennoch verspürte sie ein ungutes Gefühl. Kutten hatten die Anhänger Gordon MacFarlanes getragen. Aber das lag lange zurück. Sollte der Orden neu aufgelebt sein? Angenommen, es handelte sich tatsächlich um ein Ordensmitglied, was wollte er hier auf der Straße, wo sich die heilige Stätte von Clava Cairn woanders befand? Trotz ihrer Zweifel war Vorsicht geboten. „Wenn da wirklich jemand war, wo ist der jetzt?“
„Keine Ahnung.“
„Und wenn dir deine Nerven einen Streich gespielt haben? Nach der langen Autofahrt ohne Unterbrechung wäre das kein Wunder.“ Sie hatte Charles noch nie derart aufgelöst erlebt.
„Nein. Da war einer auf der Straße, ich bin doch nicht blöd. Und wenn ich den erwischt habe? Scheiße!“ Charles riss die Wagentür auf und stürzte hinaus.
Auch Amber stieg aus. „Dann hätten wir den Aufprall bemerkt.“
Charles schien ihren Einwand zu überhören, umrundete den Mercedes und lief ein Stück die Straße zurück. Am Horizont malte sich der erste helle Streifen ab. Bald würde die Sonne aufgehen.
„Charles, da ist nichts. Komm, ich muss zu Hermit.“
„Nichts! Kein Blut, nichts.“ Charles lief dennoch weiter.
Plötzlich nahm Amber eine Bewegung neben sich wahr, im Gebüsch hinter der Leitplanke. Es versetzte ihre Sinne in höchste Alarmbereitschaft. Charles irrte sich nicht, jemand war in ihrer Nähe. Sie schloss die Augen, um sich auf das Wesen zu konzentrieren, aber es gelang ihr nicht. Irgendetwas schien sie zu blockieren, als steckte ihr Kopf in einem undurchdringlichen Helm. Jemand beobachtete sie, jemand, der gefährlich war, denn sie spürte die Mordlust, die ihm vorauseilte. Sie mussten so schnell wie möglich weg.
„Charles, komm jetzt. Schnell. Lass uns fahren!“, rief sie.
Schimpfend kehrte er um.
Sie war froh, als sie wieder im Wagen saßen. Es machte sie krank, dass ihre Sinne versagt hatten. Als sie am Ortsschild von Gealach vorbeifuhren, dachte sie an Hermit. Sie fürchtete sich vor der Begegnung. Hoffentlich würde sie ihn lebend antreffen. Seltsamerweise hatte sie das Gefühl, dass Charles’ Vision in Zusammenhang mit dem Druiden stand. Der Beobachter war weder ein Vampir noch ein Werwolf oder Dämon gewesen, deren Kälte sie gespürt hätte. Aber was dann? Sie hasste es, wenn sie ihre Gegner nicht einschätzen konnte. Ein Schauder rann ihren Rücken hinab, als würden Eiswürfel über ihre Haut gleiten.
Hermit wartete auf ihre Rückkehr, sie spürte, wie seine Gedanken sie erreichten und trieb Charles zur Eile an.
Als Charles den Wagen vor Hermits Haus vorfuhr, wurde die Haustür aufgerissen und Aidan trat mit besorgter Miene heraus. Amber stürzte aus dem Wagen und rannte zu ihm. „Wie geht es ihm?“, fragte sie. Aber sie wusste auch so, wie es um den alten Druiden stand, denn sie spürte die Kälte des Todes. Ihr wurde das Herz schwer.
„Er fragt nach dir.“ Aidan zog Amber ins Haus. „Ich höre kaum noch seinen Herzschlag“, flüsterte er ihr zu, als Charles ihnen unaufgefordert folgte.
Amber kämpfte gegen den Druck in ihrem Magen. Warum musste sie auch noch Hermit verlieren? War Schmerz alles, was das Schicksal ihr zu bieten hatte? Ihre Hände verkrampften sich ineinander, als sie Hermits Wohnzimmer betrat. Sie war froh, Aidan an ihrer Seite zu wissen.
Der alte Druide lag in eine Decke gewickelt auf der Couch und röchelte. Seine Augen starrten an die Decke. Als er ihre Schritte hörte, wandte er den Kopf. Ein Schleier lag über seinen Augäpfeln.
„Amber ... wo ist sie?“, stammelte er und streckte seine zittrige Hand aus.
Erkannte er sie nicht mehr? Tränen stiegen in ihre Augen, und sie schluckte gegen den Kloß in ihrem Hals. Amber lief zu Hermit, kniete sich vors Sofa und ergriff seine eiskalte Hand. Aidans Hand legte sich auf ihre Schulter und spendete Trost.
„Ich bin hier, Hermit. Spürst du mich?“ Sie konnte die Tränen nicht zurückhalten, als sie auf das eingefallene Gesicht hinabsah. Hilflos musste sie mit ansehen, wie das Leben mit jedem Atemzug aus seinem Körper wich. Aber sie würde bei ihm sein, wenn er verschied. Wie hatte sie sich einst gewünscht, neben ihrem Vater Finlay sitzen zu
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