Monde der Finsternis 03 - Mond der Ewigkeit
dürfen, bis der Tod ihn umarmte. Stattdessen hatte sie nur noch einen Blick auf seine aufgebahrte Leiche werfen können.
Sie presste Hermits Hand an ihre tränenfeuchte Wange und schluchzte. Es gab noch so vieles, was sie ihm sagen wollte, dass sie ihm dankbar für alles war und wie gern sie mit ihm im Frühjahr die Magnolienblüte erleben würde.
„Nicht weinen, Amber“, sagte er leise, „das ist der Kreislauf des Lebens. Wenn ich sterbe, dann in der Gewissheit, dass du die Wächterin sein wirst. Das beruhigt mich, denn das Schattentor hat sich bereits einen Spalt geöffnet. Ich habe die Ranken gesehen. Colin hat es also geschafft.“ Hermit rang nach Atem.
„Colin?“ Sie hatte den Namen schon einmal gehört und erinnerte sich an ein Gespräch. „Du meinst doch nicht etwa deinen vermissten Sohn?“
Hermit nickte.
„Er ist der Schwarzmagier? Oh, mein Gott.“ Wie furchtbar musste die
Gewissheit für den alten Mann sein, dass ausgerechnet sein Sohn zu den Feinden zählte.
„Er ist hier gewesen, nicht wahr?“, fragte sie sanft. Wieder nickte der Alte. Aidan knurrte und Amber sah fragend zu ihm auf. Sie verstand seine mentale Botschaft. Er würde ihr später davon erzählen.
„Du musst verhindern, dass Colin das Tor öffnet, oder wir sind alle verloren.“
Wie sollte sie das abwehren? „Ich ...“
„Suche nach deinem ... Vater. Er kann helfen ...er kennt Revenant. Er wartet bereits auf dich.“
Hermits Kopf kippte zur Seite. Seine Augen blickten starr. Amber warf sich auf seine Brust und weinte. Plötzlich spürte sie, wie aus dem leblosen Körper des Druiden Energiewellen entstiegen und sie durchfluteten.
„Ich werde immer bei dir sein, Tochter der Elemente“, klangen seine Worte in ihrem Kopf.
Amber schloss seine Augen. Sanft zog Aidan sie hoch und nahm sie in den Arm. Sie hatte Hermit verloren. Die Verantwortung als seine Nachfolgerin war erdrückend. Das hatte sie alles nicht gewollt.
„Wie soll es weitergehen?“, murmelte sie an Aidans Brust. Anstelle einer Antwort strich er ihr über den Kopf.
16
N achdem sie ins Schloss zurückgekehrt und allein waren, erzählte Aidan ihr von seinen Begegnungen mit dem Schwarzmagier. Es bestätigte Hermits Worte, dass der Magier sein Sohn Colin war.
Amber brannte darauf, die Suche nach ihrem Vater voranzutreiben, der scheinbar als Einziger wusste, wie die Bedrohung durch die Schattenwelt für immer abgewendet werden konnte. Nachdenklich drehte sie die Fibel zwischen den Fingern. Von jetzt an trug sie als Wächterin des Tores die Verantwortung allein. Es gab keinen Hermit mehr, den sie um Rat fragen konnte. Er fehlte ihr bereits jetzt. Die Trauer lastete wie ein Stein auf ihrem Herzen, aber sie konnte nicht weinen, selbst wenn sie es sich noch so sehr wünschte. Ihre Mutter hingegen war in Tränen ausgebrochen, als sie ihr von seinem Tod berichtet hatte. Kevin schien gefasster, doch nur nach außen, um vor den anderen keine Gefühle preiszugeben, schon gar nicht vor Charles. Das wäre uncool. Irgendwann würde er das Gespräch mit ihr suchen.
Während sie über alles nachgrübelte, lag ihr alter Freund in einem Sarg in Inverness und wartete darauf, mit der Erde vereint zu werden. Hermits letzter Wille war, unter dem Magnolienbaum in seinem Garten begraben zu werden, und den wollte sie ihm erfüllen. Amber wischte die Tränen fort.
„Ach, Hermit, was würde ich darum geben, noch einmal mit dir im Garten zusammenzusitzen und über alles zu reden.“
Am Abend vor der Beerdigung blieb Aidan bis nach Mitternacht bei ihr. Anscheinend spürte er, wie sehr seine Nähe sie tröstete. Mit fortschreitender Stunde erfasste ihn die gewohnte Unruhe, auch wenn er dagegen ankämpfte. Schweren Herzens ließ sie ihn gehen. So war das Leben an der Seite eines Vampirs. Amber hätte nach nebenan zu ihrer Mutter und Kevin gehen können, aber sie wollte allein sein mit ihrer Trauer und den Gedanken.
Sie streckte sich auf dem Bett aus und versuchte vergeblich einzuschlafen. Ihre Gedanken kreisten um die Geschehnisse. Gegen Mitternacht stand sie auf und lief im Zimmer umher. Im Flügel gegenüber, wo ihre Mutter und Forbes wohnten, war es stockdunkel. Aidan streifte sicher noch bis zum Morgengrauen draußen herum. Es bot sich die Gelegenheit, in den Keller zu gehen und erneut die Welt hinter dem Spiegel zu betreten. Sofort setzte sie ihren Plan in die Tat um und stand wenige Minuten später mit der Fibel vor dem Goldrahmen. Kaum rieb ihr Daumen über das
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