Monde
unentschlossen über dem Hauptgebäude schweben – ein langgezogener Komplex mit Ziegeldach und Fundamenten und Segeltuchwänden – und denkt: Was jetzt?
Entspann dich.
Baedecker entspannt sich. Er dreht den Helikopter und sieht die Sonne hinter den Bergen untergehen. Die plötzliche Dämmerung ist irgendwie angenehmer, als es der graue Tag gewesen ist. Er wirft einen raschen Blick auf die ausgedehnte Anlage unter sich und entscheidet sich für einen flachen Hügel in der Nähe eines unvollendeten Holzhauses am südöstlichen Stadtrand. Der Hügel und das einsame Gebäude liegen abseits der Hauptverkehrsader und sind durch mehrere Hundert Meter unbebautes Gelände vom Rest des Labyrinths abgesetzt.
Er kreist einmal und geht vorsichtig tiefer. Als er noch zehn Meter über der Hügelkuppe schwebt, bemerkt er etwas Orangefarbenes aus den Augenwinkeln. Fünf Menschen sind aus dem unvollendeten Gebäude getreten, aber Baedecker hat nur Augen fü r den ersten. Die Gestalt ist immer noch sechzig Meter entfernt und halb im Schatten des Gebäudes verborgen, aber Baedecker weiß sofort, dass es sich um Scott handelt – Scott, magerer denn je, Scott ohne den Bart, den er in Indien trug, und mit kürzerem Haar, als Baedecker es seit zehn Jahren an ihm gesehen hat, aber nichtsdestotrotz Scott.
Die Landung geht glatt über die Bühne, der Huey setzt sich ohne einen Ruck auf seine Kufen. Baedecker muss sich einen Moment auf das Armaturenbrett konzentrieren, um die Rotoren in einem heißen Flüstern laufen zu lassen und gleichzeitig sicherzustellen, dass die Maschine ein paar Minuten auf dem Boden bleiben wird. Als er hinaus und nach unten schaut, erblickt er vier Gestalten, die immer noch reglos im Schatten stehen, aber eine von ihnen, Scott, fängt gerade an, den felsigen Hügel hinaufzulaufen.
Baedecker stößt die Tür mit dem Fuß auf, lässt den Helm auf dem Sitz und duckt sich instinktiv unter den Rotorblättern. Am Rand des Hügels bleibt er einen Moment aufrecht stehen, stemmt die Hände in die Hüften und späht hinunter. Dann bewegt sich Baedecker rasch, aber vorsichtig auf dem tückischen Gelände nach unten, um seinem Sohn auf halbem Weg entgegenzukommen.
FÜNFTER TEIL
BEAR BUTTE
B aedecker lief. Er lief verbissen, Schweiß brannte ihm in den Augen, er hatte Seitenstechen, sein Herz pochte, und sein Atem war deutlich zu hören. Aber er lief weiter. Der letzte der sechs Kilometer hätte der leichteste sein sollen, aber er war bei weitem der schwerste. Der Trimmpfad führte sie auf der abschließenden Strecke zwischen Dünen hindurch zum Strand zurück, und da beschloss Scott, einen Zahn zuzulegen. Baedecker fiel fünf Meter hinter seinen Sohn zurück, ließ aber nicht zu, dass die Entfernung noch größer wurde.
Als ihr Motel in Cocoa Beach sichtbar wurde, spürte Baedecker, wie die Anstrengung die letzte Energiereserven aus ihm heraussog, spürte sein schmerzendes Herz und die Lungen, die um eine langsamere Gangart flehten – und holte noch einmal alles aus sich heraus, um die Entfernung zwischen dem schlanken Rothaarigen und sich selbst zu verringern. Scott blickte nach rechts, als sein Vater neben ihm auftauchte, grinste Baedecker an und verfiel in einen schnelleren Sprint, der ihn vom harten, nassen Ufer auf den weichen Sand des Strands brachte. Baedecker nahm es noch fünfzig Schritte mit seinem Sohn auf, dann fiel er zurück und legte die letzten hundert Meter zur flachen Betonmauer des Hotels in einem stolpernden Trab zurück.
Scott bückte sich und machte Dehnübungen, als Baedecker neben ihm in den Sand sackte und den Rücken an die Betonklötze lehnte. Er ließ den Kopf auf die Arme sinken und keuchte.
»Bester Lauf bis jetzt«, sagte Scott nach einer Minute.
»Mhm«, stimmte Baedecker zu.
»Tut richtig gut, Dad, nicht?«
»Hm.«
»Ich geh noch eine Runde schwimmen. Kommst du mit?«
Baedecker schüttelte den Kopf. »Geh nur«, keuchte er. »Ich bleib hier liegen und übergebe mich.«
»Okay«, sagte Scott. »Bis später.«
Baedecker schaute seinem Sohn nach, wie dieser über den Strand zum Wasser joggte. Die Sonne über Florida schien sehr hell, Sand und Wasser wirkten so blendend weiß wie der Mondstaub zur Mittagszeit. Baedecker freute sich, dass es Scott so gutging. Vor acht Monaten hatten sie ernsthaft einen weiteren Krankenhausaufenthalt für ihn in Erwägung gezogen, aber die Asthmamedikamente hatten ihre Wirkung gezeigt, die Ruhr war nach einigen Wochen Ruhe
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