Monde
ausgeheilt, und während Baedecker in den Wochen der Diät und Arbeit in Arkansas abgenommen hatte, hatte Scott konstant Pfunde zugelegt, so dass er jetzt nicht mehr aussah wie der Überlebende eines Konzentrationslagers. Baedecker spähte mit zugekniffenen Augen zum Meer, wo sein Sohn mit kräftigen Stößen schwamm. Nach einer Minute erhob sich Baedecker mit einem leisen Stöhnen, trabte langsam den Strand hinunter und gesellte sich zu ihm.
Es war Abend, als Baedecker und Scott auf der U.S. 1 nach Norden Richtung Raumfahrtzentrum fuhren. Baedecker betrachtete die Neubauviertel und Einkaufszentren entlang des Highway und erinnerte sich, wie unfertig die Gegend Mitte der Sechziger Ja hre gewirkt hatte.
Die riesige Raketenmontagehalle kam in Sicht, noch bevor sie auf die NASA-Zufahrt einbogen.
»Und, hat sich viel verändert?«, fragte Baedecker. Scott war versessen darauf gewesen, das Cape zu besuchen. Er hatte das blaue KSC-T-Shirt seinen sechsten und siebten Sommer über ununterbrochen getragen. Joan musste es nachts waschen, damit sie es dem Jungen überhaupt einmal wegnehmen konnte.
»Ich glaube nicht«, sagte Scott.
Baedecker deutete auf das riesige Bauwerk im Nordosten. »Weißt du noch, wie ich dich hierhergebracht habe, damit du zuschauen konntest, wie das VAB, die Montagehalle errichtet wurde?«
S cott runzelte die Stirn. »Eigentl ich nicht. Wann war das?«
»Hm, 1965«, sagte Baedecker. »Ich hab schon für die NASA gearbeitet, aber es war der Sommer, bevor ich zum Flugstatus f ü r die fünfte Astronautengruppe befördert wurde. Weißt du noch?«
Scott musterte seinen Vater und grinste. »Dad, da war ich ein Jahr alt.«
Baedecker musste selber lächeln. »Naja, wenn ich darüber nachdenke, hab ich dich fast die ganze Führung über auf den Schultern getragen.«
Sie wurden an zwei Kontrollpunkten gestoppt, bevor sie das Kennedy Space Center – kurz KSC – erreichten. Der Raumhafen, der normalerweise für Touristen und Neugierige geöffnet war, war heute wegen des bevorstehenden Starts einer Mission des Verteidigungsministeriums abgeriegelt. Baedecker zeigte den Passierschein vor, den Tucker Wilson ihm gegeben hatte, und sie wurden rasch weitergewinkt.
Sie rollten langsam an dem ausladenden Hauptquartier vorbei und bogen dann auf den Parkplatz des Verwaltungsgebäudes für bemannte Raumflüge ab. Der riesige zweistöckige Komplex bot noch immer einen ebenso hässlichen und nüchternen Anblick wie während Baedeckers Aufenthalt beim Training vor dem Start seiner Apollo- Mission. Auf Glasscheiben nach Westen spiegelten sich die letzten Strahlen des Sonnenuntergangs, als sie das Auto abstellten.
»Das ist irgendwie eine große Sache, was?«, sagte Scott, als sie zum Haupteingang schritten. »Thanksgiving-Essen mit den Astronauten und so.«
»Eigentlich ist es kein Thanksgiving-Essen«, sagte Baedecker. »Die Mitglieder der Mannschaft waren schon vorher mit ihren Familien essen. Es gibt nur Kaffee und Kuchen – eine Art traditionelle Zusammenkunft am Vorabend des Flugs.«
»Ist es nicht ungewöhnlich, dass die NASA an so einem Feiertag fliegt?«, fragte Scott.
»Nein«, sagte Baedecker, als sie einem Wachmann an der Tür ihre Ausweise zeigten. Ein Attache der Luftwaffe geleitete sie eine enge Treppe hinauf. »Apollo 8 ist über Weihnachten um den Mond geflogen«, fuhr Baedecker fort. »Und außerdem hat das Verteidigungsministerium das Datum für den Start wegen der Satellitenverteilung festgesetzt.«
»Und nochmal außerdem«, sagte Scott, »ist Thanksgiving heute und der Start morgen.«
»Genau«, sagte Baedecker. Sie mussten zwei weitere Kontrollpunkte überwinden, bevor sie in ein kleines Wartezimmer vor dem Speisesaal der Besatzung geführt wurden. Baedecker betrachtete das grüne Sofa, die unbequemen Stühle, das niedrige Kaffeetischchen mit den Zeitschriften darauf und war aus unerfindlichen Gründen froh, dass der Komplex der Privatunterkünfte noch das Flair aus den Sechzigerjahren besaß.
Die Tür ging auf, und eine Gruppe von Geschäftsleuten quoll aus dem Speisesaal. Sie wurden von einem jungen Luftwaffenmajor angeführt. Einer der Männer, der einen dunklen Anzug und einen Aktenkoffer trug, blieb stehen, als er Baedecker sah. »Dick«, sagte er, »gottverdammt, dann stimmt es also, dass Rockwell Sie gekriegt hat.«
Baedecker erhob sich und schüttelte ihm die Hand. »Ach wo, Cole«, sagte er. »Bin nur auf einen Freundschaftsbesuch hier. Cole, ich weiß nicht, ob Sie meinen
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