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Monde

Titel: Monde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dan Simmons
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gewundene staubige Landstraße, der sie folgten, wimmelte bereits von Menschen auf Fahrrädern, Ochsenkarren, schweren Lastwagen mit der Aufschrift »Öffentliches Transportmittel« und vereinzelten schwarz-gelben Taxis, die wie wütende Bienen durch das ganze Durcheinander sch o ssen.
    Baedecker und das Mädchen blieben vor einem kleinen grauen Gebäude stehen, einem Farmhaus oder einem Hindutempel. Möglicherweise war es sogar beides. Drinnen läuteten Glocken. Der Geruch von Weihrauch und Kuhmist wehte aus einem Innenhof. Hähne krähten, und irgendwo sang ein Mann in brüchigem Falsett. Ein anderer Mann – in einem blauen Polyesteranzug – stieg vom Fahrrad, trat an den Straßenrand und urinierte in den Garten des Gebäudes.
    Ein Ochsenkarren holperte mit knirschender Achse und ächzendem Joch vorbei; Baedecker drehte sich um und schaute ihm nach. Eine Frau, die hinten saß, hob den Sari vor das Gesicht, aber die drei Ki nder neben ihr erwiderten Baede ckers Blick. Der Mann vorne schrie den sich abmühenden Ochsen an und schlug ihm mit einem Stock gegen die Flanken, die bereits von schorfigen Wunden bedeckt waren. Plötzlich gingen alle anderen Geräusche im Getöse einer 747 der Air India unter, die über sie hinweglärmte und auf deren Metallrumpf sich das Gold der aufsteigenden Sonne spiegelte.
    »Was ist das für ein Geruch?«, fragte Baedecker. Über diesem allgemeinen Ansturm von Gerüchen – nasse Erde, offene Rinnsteine, Autoabgase, Komposthaufen, der Smog der unsichtbaren Stadt – erhob sich ein süßlicher, überwältigender Duft, der sich schon in seiner Haut und der Kleidung festgesetzt zu haben schien.
    »Sie machen Frühstück«, sagte Maggie. »Im ganzen Land kochen sie ihre Morgenmahlzeit, auf offenen Feuern. Die meisten benützen Kuhmist als Brennmaterial. Achthundert Millionen Menschen, die sich ihr Frühstück kochen; Gandhi hat mal geschrieben, dass das der ewige Geruch Indiens sei.«
    Baedecker nickte. Der Sonnenaufgang wurde allmählich von den tiefhängenden Monsunwolken verschluckt. Für einen Augenblick nahmen die Bäume und das Gras einen grellen, falschen Grünton an, der dank Baedeckers Müdigkeit noch intensiver wirkte. Die Kopfschmerzen, seit Frankfurt seine Begleiter, waren von der Nasenwurzel zu einem Punkt am Nackenansatz gewandert. Bei jedem Schritt hallte ein schmerzendes Echo durch seinen Kopf. Doch die Schmerzen, wie er sie durch den Nebel von Erschöpfung und Desorientierung aufgrund des Zeitunterschieds wahrnahm, schienen ihm fern und unbedeutend. Sie waren einfach Teil des Fremden – die neuen Gerüche, die seltsame Kakophonie ländlicher und großstädtischer Laute, diese attraktive junge Frau an seiner Seite, deren Wangenknochen von dem Sonnenlicht, das auch in ihren grünen Augen ein Feuer entfachte, scharf hervorgehoben wurden. Was bedeutete sie seinem Sohn? Wie ernst war ihre Beziehung? Baedecker wünschte sich, er hätte Joan mehr Fragen nach dem Mädchen gestellt, aber der Besuch war ungemütlich gewesen, und er hatte es kaum erwarten können, sich wieder zu verabschieden.
    Baedecker betrachtete Maggie Brown, und ihm wurde bewusst, was für ein Sexist er war, wenn er in ihr nur das Mädchen sah. Diese junge Frau besaß eine Aura von Selbstbewusstsein, von Wissen, die Baedecker stets mit wirklich Erwachsenen in Verbindung brachte – im Gegensatz zu Leuten, die einfach nur älter geworden waren. Jetzt überlegte er, dass Maggie Brown mindestens Mitte zwanzig sein musste, also mehrere Jahre älter als Scott. Hatte Joan nicht was davon gesagt, dass die Freundin ihres Sohns schon das Staatsexamen gemacht hatte und Assistentin des Professors war?
    »Sind Sie nur nach Indien gekommen, um Scott zu besuchen?«, fragte Maggie Brown. Sie befanden sich wieder auf der halbkreisförmigen Zufahrt und wanderten auf den Flughafen zu.
    »Ja. Nein«, sagte Baedecker. »Das heißt, ich bin hier, um Scott zu besuchen, habe das aber mit einer Geschäftsreise zusammengelegt.«
    »Arbeiten Sie nicht für die Regierung?«, fragte Maggie. »Für die Weltraumleute?«
    Baedecker lächelte über das Bild, das ihm der Ausdruck »die Weltraumleute« ins Gedächtnis zauberte. »Seit zwölf Jahren nicht mehr«, sagte er und erzählte ihr von der Flugzeugfirma in St. Louis, für die er arbeitete.
    »Also haben Sie gar nichts mit dem Space Shuttle zu tun?«, fragte Maggie.
    »Eigentlich nicht. Wir hatten einige Subsysteme an Bord und haben hin und wieder Frachtraum gemietet.« Baedecker stellte

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