Monde
nach Bombay startete mit dreistündiger Verspätung. Der Vertreter einer britischen Helikopterfirma, der neben Baedecker in der Schalterhalle saß, erklärte ihm, dass der Pilot der Air India und der Flugingenieur jetzt schon seit Wochen einen Streit miteinander ausfochten. Entweder der eine oder der andere behinderte den Start jeden Tag.
Als sie sich endlich in der Luft befanden, versuchte Baedecker zu dösen, aber das unablässige Läuten der Rufknöpfe hielt ihn wach. Kaum hatten sie abgehoben, schien jeder Passagier der Maschine nach einer der saribekleideten Stewardessen zu läuten. Die drei Männer in der Reihe vor Baedecker verlangten lautstark nach Kissen und Drinks und schnippten dabei herrisch mit den Fingern, was ihm, Baede cker, völlig gegen den egalitären Strich ging.
Maggie Brown hatte ihn kurz nach dem Frühstück verlassen. Sie hatte ihm den Plan ihrer »Großen Rundreise« auf eine Serviette gekritzelt und in eine Tasche seines Anzugs gesteckt. »Man kann nie wissen«, sagte sie. »Möglicherweise überlegen Sie es sich nochmal.« Baedecker hatte ein paar letzte Fragen nach Scott gestellt, bevor sie mit einem schwarzgelben Taxi davongefahren war. Insgesamt blieb ihm der Eindruck einer jungen Frau, die ihrem Geliebten irrtümlich in ein seltsames, fremdes Land gefolgt war und nun nicht mehr wusste, was sie fühlte oder dachte.
Sie flogen in einem französischen Airbus. Baedecker stellte mit geübtem Auge fest, dass sich die Tragflächen weiter spannten als bei den Boeings, und registrierte verblüfft den steilen Flugwinkel, den der Pilot wählte. Amerikanische Fluggesellschaften erlaubten ihren Piloten nicht, die Maschinen derart hinunterzuziehen; man wollte die Passagiere nicht beunruhigen. Den indischen Passagieren schien es jedoch nicht weiter aufzufallen. Der Landeanflug auf Bombay lief so rasend schnell ab, dass Baedecker an einen Flug mit einer C-130 nach Pleiku denken musste, wo der Pilot aus Angst vor Infanteriebeschuss gezwungen gewesen war, fast vertikal runterzugehen.
Von oben gesehen schien Bombay nahezu komplett aus Hütten mit Blechdächern und alten, verfallenen Fabriken zu bestehen. Dann erhaschte Baedecker einen Blick auf Hochhäuser und das Arabische Meer, das Flugzeug kippte in einem Winkel von fünfzig Grad, ein Plateau erhob sich zur Begrüßung über die Hütten, und im nächsten Moment setzten sie auf. Baedecker zollte dem Piloten stumm Bewunderung.
Die Taxifahrt vom Flughafen zum Hotel war fast zu viel für Baedeckers erschöpfte Sinne. Die Elendsviertel begannen fast unmittelbar vor den Toren des Santa Cruz Airport von Bombay. Dutzende Quadratkilometer von Hütten mit Blechdächern, durchhängenden Segeltuchunterständen und schmalen, schlammigen Wegen erstreckten sich auf beiden Seiten der Straße. An einer Stelle durchschnitt eine sechs Meter hohe Wasserpipeline das Dickicht der Hütten wie ein Gartenschlauch einen Ameisenhaufen. Kinder mit brauner Haut liefen darauf entlang oder ruhten sich auf den rostigen Seiten aus. Die Bewegungen unzähliger Körper überall um ihn herum machten ihn schwindlig.
Es war sehr heiß. Die schwüle Luft, die zu den offenen Fenstern des Taxis hereinwehte, strich wie erhitzte, dampfende Abgase über Baedecker hinweg. Gelegentlich blitzte rechts von ihm flüchtig das Arabische Meer auf. Eine riesige Werbefläche in den Vororten verkündete: 0 TAGE BIS ZUM MONSUN, aber von der tiefhängenden Wolkendecke kam kein kühlender Regen, sie reflektierten lediglich die schreckliche Hitze und sorgten dafür, dass sich ein bedrückendes Gefühl von Schwere wie ein Joch auf seine Schultern legte.
Die Stadt selbst war noch chaotischer. Jede Seitenstraße wurde zu einem Nebenfluss weiß gekleideter Menschen, die sich in die größeren Ströme und Bäche einer amoklaufenden Masse ergossen. Tausende winziger Geschäftsfassaden boten ihre bunten Waren den Millionen dicht gedrängter Passanten feil. Die Kakophonie von Autohupen, Motoren und Fahrradglocken hüllte Baedecker in eine dichte, undurchdringliche Decke. Gigantische, grelle Plakatwände warben fü r Filme mit rosig geschminkten Schauspielern und schwarzhaarigen Schauspielerinnen mit Schmollmündern und purpurn getöntem Teint.
Dann befanden sie sich auf dem Marine Drive, dem Queen ’ s Necklace, und das Meer wogte schwer und grau zu ihrer Rechten. Links konnte Baedecker Cricketfelder, Freiluftkrematorien, Tempel und Bürohochhäuser erkennen. Über dem Turm der Stille glaubte er eine kleine
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