Mondglanz
jedem Quadratzentimeter türmen sich eigenartige, beängstigend aussehende Speisen; manche davon bewegen sich sogar noch. Keine allzu leichte Aufgabe also, die mir da bevorsteht.
2
Es gibt keine Teller und auch nichts zum Hinsetzen.
Aber das überrascht mich nicht. Ich wurde umfassend in der Kultur der Ithorianer unterwiesen. Mit bloßen Händen in das Buffet zu greifen und ohne Teller oder Besteck zu essen gehört hier zur guten Sitte. Dabei sollte man natürlich die anderen Speisen möglichst nicht berühren, wofür die Krallen der Ithorianer allerdings weit besser geeignet sind als Menschenhände.
»Auf diese Weise entsteht weniger Abfall«, flüstert Vel mir ins Ohr. »Man nimmt nur so viel, wie man auch essen kann. Nichts wird in Schüsseln vorportioniert und dann weggeworfen.« Seine Stimme klingt, als wäre er kein Freund von Leuten, deren Augen größer sind als ihr Magen.
Ich bedeute ihm, dass ich verstanden habe, und halte Ausschau nach einer Speise, die mein Magen auch behalten kann. Meine Wahl fällt auf etwas, das aussieht wie Meeresfrüchte in Sauce, und ich versuche, mir die Leckerei möglichst geschickt zu angeln. Sie schmeckt pfeffrig-süß und zergeht regelrecht auf der Zunge.
Scharis’ Mandibeln zucken erfreut.
Anscheinend mache ich meine Sache gut, aber das Klicken und Zirpen, das daraufhin erfolgt, verstehe ich erst, als Vel übersetzt. »Das ist kandierter Kir«, erklärt er. »Es zeugt von ausgesuchtem Geschmack, dass Sie gleich als Erstes rohes …« Es entsteht eine Pause, als suche sein Stimmgenerator nach dem richtigen Wort. »… Fleisch probieren«, sagt er schließlich.
Rohes Fleisch? Besser, ich denke nicht zu lange darüber nach. Einen Moment lang habe ich das Gefühl, mein Magen würde es sich doch noch einmal anders überlegen, aber irgendwie bringe ich ein Lächeln zustande. »Köstlich.«
Das stimmt sogar. Ich hoffe nur, Kir ist ein Tier und nicht irgendein anderes Lebewesen. Offenbar wird von mir erwartet, genauso lange zu essen, wie alle anderen es tun, und meine Handflächen werden feucht. Der erste Eindruck, den ich hinterlasse, ist enorm wichtig. Besser, ich falle nicht jetzt schon unangenehm auf.
Zumindest bin ich angemessen gekleidet. Vel hat mich in diese goldene Robe gesteckt, die mich auf die erste Hierarchiestufe unterhalb der Großen Verwalterin mit den gelben Streifen stellt. Um meine Wichtigkeit noch weiter zu unterstreichen, trägt der Rest unserer Delegation Schwarz, was in Marschs Fall jedoch weniger seinem Rang als seiner Stimmung entspricht.
Vel gibt mir diskret Anweisungen, welche Speisen ich essen und welche ich lieber den Ithorianern überlassen soll. Der Kopfgeldjäger macht seine Sache so gut, dass ich irgendwann gar nicht mehr merke, wie er Scharis’ Worte übersetzt. Es ist, als würde er direkt zu mir sprechen.
Nachdem das Bankett vorüber ist, bringen ein paar niedere Arbeiter feuchte Tücher. Dem Protokoll entsprechend wische ich mir daran die Hände ab und reiche sie den Dienern zurück.
Zeit für Small Talk.
Scharis geleitet mich zur Großen Verwalterin und den anderen Ratsmitgliedern. Die Ehrfurcht, mit der alle Otlili Ib-Ekei behandeln, lässt keinen Zweifel daran, wie mächtig sie ist. Haltung und Körpersprache ihres Gefolges sprechen Bände. Mindestens einen Meter halten sie Abstand und umschwirren sie wie das Zentrum allen Seins.
Der Rat hat fünf Mitglieder. Otlili ist zwar das nominelle Oberhaupt, aber soweit ich es verstanden habe, hat sie kein Stimmrecht. Sie wirkt eher als politisch gestalterische Kraft, nur manche Regierungsgeschäfte erledigt sie allein. Justiz und Gefängnisse beispielsweise unterstehen nur ihr und niemandem sonst.
Jedes Ratsmitglied repräsentiert seinen Wahlkreis. Wahlen gibt es also, aber die Amtszeit ist praktisch unbegrenzt; solange die Bevölkerung zufrieden ist, kann ein Ratsmitglied bis ans Ende seines Lebens im Amt bleiben. Die Führer der drei größten politischen Parteien können jedoch einen Untersuchungsausschuss einberufen, der über eine Suspendierung entscheidet, sollte sich herausstellen, dass ein Mitglied korrupt oder unfähig ist. Unfähigkeit ist in den Augen der Ithorianer das weit schwerere Vergehen, genauso wie physische Gebrechlichkeit. Nur ein sehr mächtiges Ratsmitglied kann es sich erlauben, krank zu werden und dabei im Amt zu bleiben. Schwäche mögen die Kakerlaken gar nicht.
Bestechung – in diesem Fall ein kompliziertes System aus Zuwendungen und Gefälligkeiten –
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