Mondherz
gebrechlich aus, sondern zeitlos wie eine Statue aus einer römischen Kirche. »Du sagst kluge Dinge, Wolfsfrau«, bemerkte sie. »Ich glaube, Viktor wird sich noch wundern.« Sie kicherte wie über einen geheimen Scherz.
Ehe Veronika etwas erwidern konnte, wurde sie am Arm gepackt. Solana zog sie in die Höhe und umfasste ihre Hüfte, und ehe sie sich versah, war sie in den Kreis der Tanzenden gerissen worden, einen Strudel aus warmen Körpern, der sie voller Freude willkommen hieß.
»Du wirst sehen, das gefällt dir«, rief Solana, deren schwarzes Haar wie Rabenflügel flatterte, als sie sich im Kreis drehte. Veronika spürte den Honigwein, der sie schwindeln ließ, sie roch die würzige Glut des Feuers, sah dessen Funken als Spiegelbilder der Sterne. Ihre Gedanken wirbelten noch um die Worte der Phuri Dai, doch dann schloss sie die Augen und war frei. Ihr Herzschlag vereinte sich mit dem Puls der Trommeln, und ihre Wölfin sang mit der Musik und dem Mond, als sie sich in die Tanzenden einreihte.
Eine Woche verging, und sie war für Veronika mit regen Besuchen bei ihren neuen Freunden gefüllt. Es waren aufschlussreiche Stunden, die ihr die Sitten der Zigeuner näherbrachten. Die Roma waren keineswegs Faulenzer oder Diebe, wie böse Zungen behauptet hatten. Solanas Mann Senando spielte nicht nur Geige, sondern schnitzte Löffel und Schalen aus Kirschholz mit der Handfertigkeit eines Künstlers. Der Flöter Paulo versah sich auf die Fähigkeit, Messer zu schleifen und löchrige Kessel zu flicken. Die Frauen strickten Wollkappen und webten Tücher mit bunten Mustern aus verschlungenen Ornamenten. Gerade bei den städtischen Handwerkerfrauen waren diese Dinge sehr begehrt, erklärte ihr Solana. Die junge Romafrau wuchs Veronika wie eine Schwester ans Herz, und nie hatte sie so viel gelacht wie mit ihr, die stets einen Scherz auf den Lippen trug.
Meist kam Veronika nachts ins Romalager, wenn die Bewohner der Burg bereits schliefen. Ganz Temeschburg wusste inzwischen von den Zigeunern, die sich in der Nähe niedergelassen hatten, und es waren wenig schöne Worte, die Veronika über sie hörte. Das Vieh hätten sie bereits verhext und Geschirr gestohlen, munkelten die Bediensteten. Es waren nichts als Lügen, doch die gesamte Dienerschaft ließ sich von der schleichenden Seuche der Gerüchte anstecken. Hinter der fremden Sprache der Roma vermuteten sie böse Zaubersprüche. Veronika verbarg ihren Zorn über diese Verleumdungen jedoch in ihrem Inneren, und ihre Übung, die Menschen zu täuschen, half ihr dabei. Wenigstens hatte die Gräfin Hunyadi einen klaren Verstand und interessierte sich nicht für die bösen Gerüchte.
An einem Nachmittag schickte sie eine Gesandtschaft zu den Roma, die ihnen Almosen bringen sollte. Veronika begleitete die Bediensteten, und aufgebracht stellte sie fest, dass der Kämmerer nur minderwertige Speisen zusammengestellt hatte: Einen Sack mit wurmigem Getreide, ein Fass sauren Weins, zwei greisenhafte Hühner und einen Topf mit ranziger Butter. Misstrauisch beäugten die Temeschburger Botschafter die Roma, die mit unbewegten Gesichtern die verdorbenen Gaben entgegennahmen. Der muskulöse Senando, den sie für den Anführer hielten, jagte ihnen Angst ein, das konnte Veronika riechen, und wachsam behielt ihre Wölfin die Temeschburger im Auge. Ihre Furcht gegenüber ein paar Frauen und Kindern war lächerlich, das ahnten sie wohl selbst, denn sie versuchten, sie mit Spott zu überspielen. War ihnen nicht klar, dass die Zigeuner sie verstehen konnten?
Sie senkte den Blick, so schämte sie sich für sie, und wünschte sich, sie wäre nicht mitgekommen. Sie konnte die Roma durch die Augen der Temeschburger sehen, konnte die Vorurteile trotz allen Zorns sogar verstehen, und das tat am meisten weh. Denn auch sie sah den abweisenden Stolz, der in den dunklen Augen der Roma aufblitzte, ihre fremdartige Kleidung und ihre Hunde, die mit wachsamen Blicken um die Eindringlinge herumschlichen. Die Roma waren ihre Freunde geworden, vor allem Solana, doch ihre Kultur blieb auch für sie fremd.
Als sie zur Burg zurückkehrte, fühlte sie sich so schwermütig, als hinge ein Stein um ihren Hals, der sie zurück auf den Boden der Wirklichkeit zog. Sie gehörte nicht hierher, zu den engstirnigen Temeschburgern und ihrer kalten Gräfin, aber bei den Roma würde sie ebenfalls immer nur Gast sein.
Als sie in der Nacht das Lager der Roma besuchte, kam es ihr so vor, als wären ihre Gedanken ein
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