Mondherz
stemmte sie die Hände in die Hüften und funkelte die Romafrau an.
Solana begann zu lachen, lachte so heftig, dass sie Wein über ihren Rock schüttete. »Wenn du dich nur selbst sehen könntest. Wie ein Kind, dem man droht, sein Spielzeug wegzunehmen. Ist es dir schon so ernst mit ihm?«
Gegen ihren Willen musste Veronika nun auch lachen. »Du bist wirklich ein unverschämtes Weib!« Kichernd drohte sie Solana mit dem Zeigefinger. »Gábor ist …«, sie zögerte. »Nun, er hat mich tatsächlich einmal geküsst.«
»Wirklich?« Solanas Lachen wich einem breiten Lächeln. »Und wie hast du dich dabei gefühlt?«
»Ich weiß es nicht genau.« Veronika spielte verlegen mit ihrem Weinbecher. »Es war schön.«
»Und du magst ihn sehr, nicht wahr? Wenn er nicht da ist, fühlst du dich zerrissen, als ob er einen Teil von dir gestohlen hätte?«
Veronika schwieg. Solanas Worte weckten etwas in ihrem Inneren, eine traurige Sehnsucht.
Sie nickte schließlich, und ihr Herz flatterte. »Ja, so fühlt es sich an.« War das Liebe? Konnte es tatsächlich sein? Sie atmete flach, und in ihr taumelten für einen Moment alle Gefühle durcheinander, bis die Wölfin sich regte.
Es ist gut,
flüsterte sie in ihrem Innern.
Du
wusstest es doch schon längst.
Doch was half ihr dieses Wissen? Ihre Finger spannten sich fester um den Weinbecher. »Er hat mich weggeschickt«, flüsterte sie. »Er betrachtet den Kuss als einen Fehler.«
»Das hat er gesagt?« Solana verzog den Mund. »Diese Männer. Sie erkennen ihr Glück nicht, wenn es vor ihnen steht. Hast du ihm gesagt, was du fühlst?«
»Das wusste ich doch bis jetzt selbst nicht«, meinte Veronika und senkte den Kopf. »Außerdem reden wir nicht über solche Dinge, es geziemt sich nicht.«
»Es geziemt sich nicht?«, wiederholte Solana unwillig. »Du klammerst dich an Sitten fest, die nichts mehr mit dir zu tun haben. Du bist eine Werwölfin, du bist klug und wunderschön. Wenn du diesen Mann haben willst, dann zeig es ihm!«
»Wie soll ich das denn anstellen?« Veronika war irritiert, aber auch beeindruckt von der Freizügigkeit, mit der Solana über diese Dinge sprach.
»Kluge Männer wollen starke Frauen, so wie dich oder mich.« Solana warf stolz ihre Haare nach hinten. »Er wird beeindruckt sein von deinem Mut, wenn du offen und ehrlich zu ihm bist.«
»So stark bin ich nicht«, flüsterte Veronika. »Er hat mich doch erst zu der gemacht, die ich bin.«
»Das ist Unsinn!« Solana packte sie am Arm, ihre schwarzen Augen bohrten sich in ihre grauen, so dass Veronika nicht ausweichen konnte. »Er konnte nur zutage fördern, was vorher schon in dir schlummerte.« Sie kniff die Augen zusammen. »Warum hast du den Biss überlebt? Du bist die einzige Frau, die das geschafft hat.«
Veronika hob die Schultern. »Das war Gottes Wille.«
»Die Wölfin war vorher schon in dir, das ist der Grund!«, rief Solana und ließ sie los. »Der Biss hat sie nur aufgeweckt.«
Das klang so seltsam, dass Veronika die Worte in ihren Gedanken drehte und wendete, ohne sie so recht zu akzeptieren. Konnte Solana recht haben? War sie schon vor ihrer Verwandlung anders gewesen als andere Menschen? »Da muss sie aber tief in mir geschlummert haben«, gab sie mit einem zweifelnden Lächeln zu bedenken.
Solana hob die Schultern. »Denk darüber nach. Vielleicht kommst du zu einem anderen Schluss als ich. Aber ich glaube, dass du etwas Besonderes bist.«
Liebevoll strich sie Veronika eine Haarsträhne aus dem Gesicht. »Du hast das Beste verdient, und ich wünsche dir, dass dieser Gábor das für dich ist, was für mich mein Senando bedeutet. Er liebt mich so wie ich ihn.« Ein Leuchten erhellte ihre Miene. »Erst zu zweit sind wir zu einem vollständigen Wesen geworden.«
Diese Worte gingen Veronika nicht mehr aus dem Sinn, auch nicht, als sie sich von den Roma verabschiedete. Sanft drückte die Phuri Dai ihr einen Kuss auf die Stirn, und Solana umarmte sie so stürmisch, dass sie beide fast das Gleichgewicht verloren. Sie würden sich wiedersehen, das hatte sie Veronika versprochen, und daran hielt sie sich fest, als sie durch den dunklen Wald zurück zur Burg ging. Doch Gábor war es, nach dem sie sich mit jeder Faser ihres Herzens sehnte, und dank Solana konnte sie sich das nun eingestehen. Sollte sie ihr dafür wirklich dankbar sein? Es war ein neuer Schmerz, der sich in ihr einnistete, nun, da sie wusste, dass sie tatsächlich in ihn verliebt war. Denn eine Liebe war mehr als hoffnungslos,
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