Mondherz
Onkel.
»Er lässt dich doch nur am Leben, weil er sich sonst gänzlich unbeliebt machen würde.« Michaels Ton war säuerlich. »Weißt du überhaupt noch, was sich dein Vater auf dem Sterbebett für Laszlo und dich gewünscht hat?«
»Ja.« Mathias senkte den Kopf. »Er wollte, dass einer von uns der nächste König wird. Doch mein Bruder ist tot. Er wurde beschuldigt, sich gegen den König verschworen zu haben, und wir wissen alle, dass darin ein Fünkchen Wahrheit liegt. Und nun, Onkel, klingt Ihr ganz so, als wolltet Ihr so eine Verschwörung anzetteln.« Er ballte die Faust auf dem Tisch. »Ich halte das für unrecht. Wie wollt Ihr mich zum König machen, ohne dabei eine Sünde zu begehen? Es gibt bereits einen König, und er ist nur zwei Jahre älter als ich. Seine französische Braut wird ihm bald Kinder schenken, die ihn beerben werden.«
Michael schüttelte den Kopf und wollte widersprechen, doch Gábor war schneller als er. »Wollt Ihr denn König werden?«
Mathias hielt inne, langsam öffnete er seine Faust wieder. »Ich glaube, ich könnte ein guter König sein.« Er bohrte seine braunen Augen in Gábors forschenden Blick. »Ich würde dem Volk dienen. Und ich würde keinen Türken auch nur einen Fußbreit nach Ungarn hereinlassen.«
Gábor nickte. »Ihr würdet Euch von König Ladislaus also grundlegend unterscheiden?«, fragte er bedächtig.
»Glaubt nicht, dass ich die Schwächen meines Königs nicht sehe«, fuhr Mathias auf. »Ich bin loyal, aber nicht blind. Es gibt bessere Männer als ihn. Jeder von uns könnte ein besserer König sein als er. Wenn Gott es so will.« Er hielt inne. »Falls ich König werde …«, plötzlich funkelte in seinem Blick jungenhafter Schalk, »kommt dann diese Prophezeiung ins Spiel, um die Ihr Euch bemüht? Michael hat mir davon erzählt. Und von Eurem Mündel Veronika.«
Gábors Herz verkrampfte sich. Sein dunkler Blick bohrte sich in Michael. »Du hast ihm davon erzählt, ohne mich vorher zu fragen?«
Michael zuckte die Achseln. »Er musste es früher oder später eh erfahren.«
»Dazu hattest du kein Recht!« Die Wut und der Wolf stachelten Gábor an, knurrend erhob er sich. Auch Michael richtete sich auf. Ihre Wölfe maßen sich mit hasserfüllten Blicken.
»Hört auf.« Pavels Stimme durchschnitt die Spannung wie ein Schwert aus Damaszener Stahl. »Beherrscht euch vor unserem Gast.«
Die Dominanz des Ältesten brachte die Luft zum Schwingen. Gábors Wolf duckte sich. Drei Herzschläge vergingen, bevor er sich kleinlaut wieder auf der Bank niederließ. Pavels Worten konnte er sich nicht widersetzen. Michael ging es nicht anders. Der Hüne hatte sich abgewandt, nur der Schweiß auf seiner Stirn zeugte von seinem inneren Kampf.
Mathias beäugte Gábor und Michael so wachsam, als sei er bereit, jederzeit aufzuspringen. Gábor roch seine Furcht, die sein gedemütigter Wolf sofort gierig in sich aufsog. Der Junge hob den Kopf. Selbst wenn er es nicht begriff, er schien zu spüren, was in Gábor vorging. Sein Blick flackerte, doch er wandte ihn nicht ab.
Gábors Fingernägel gruben sich in seine Handflächen, so dass sie rote Halbmonde hinterließen. Nicht nur klug war Mathias also, sondern auch mutig. Veronika würde es nicht schwerfallen, ihn zu lieben. Für einen unendlichen Augenblick verabscheute er ihn.
Dann senkte Gábor den Kopf. Er wusste, es war unsinnig, Mathias etwas vorzuwerfen. Und wenn er Veronika schon in die Hände eines anderen Mannes geben musste, dann sollte dieser ihr wenigstens ebenbürtig sein.
Michael schien ähnlich zu denken. »Der Schwächling Ladislaus wird von der Prophezeiung niemals erfahren«, brummte er. Es klang fast wie eine Entschuldigung. »Ich werde alles tun, damit Mathias ihn ablöst!«
»Nein«, sagte Mathias klar und bestimmt. »Ihr steht in meinen Diensten, Onkel, vergesst das nicht. Egal was Ihr denkt, ich möchte kein König sein, der durch einen Mord an die Macht gekommen ist.«
Einen Moment blieb es still. Michael verengte die Augen. Er sah zu Pavel hinüber. Der Blick, den die beiden wechselten, gefiel Gábor nicht. Auch als Michael schließlich nickte und seinem Neffen zustimmte, blieb er beunruhigt. Er traute den beiden nicht. Gab es einen Plan, von dem er nichts wusste? Er hatte keinen Zweifel, dass Michael sich über die Meinung von Mathias hinwegsetzen würde, so wie er es mit jeder Meinung tat, die nicht mit seiner übereinstimmte. Er hielt seinen Neffen augenscheinlich noch für ein Kind. Während
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