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Mondherz

Mondherz

Titel: Mondherz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christiane Spies
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Festung schützte. Dahinter befand sich ein weitläufiger Buchenhain, in dem die Werwölfe ungestört jagen konnten. Der Gedanke daran ließ seinen Wolf unruhig werden. Er kreuzte die Arme und trat zurück an das Schreibpult, an dem er gearbeitet hatte. Der Brief, den er begonnen hatte, lag noch dort. Seit längerem korrespondierte er wieder mit der Gräfin Hunyadi. Sie mochte ihn nicht, doch sie brauchte seine Hilfe. Er beriet sie dabei, den Besitzstand ihrer Familie zu ordnen und ihren letzten männlichen Erben Mathias zu unterstützen.
    Veronika war wie angekündigt nicht zu ihr nach Temeschburg zurückgereist. Gábor seufzte. Er hätte sie dazu zwingen können. Sie war schließlich immer noch sein Mündel. Allerdings hatte sie Stärke bewiesen und war für ihre eigenen Vorstellungen von Wahrheit und Gerechtigkeit eingetreten. Damit hatte sie ihn mehr beschämt, als er zugeben wollte. Er hatte jedes Recht, über ihr Leben zu bestimmen, verwirkt. Er hatte sie verloren, und es war allein seine Schuld. Mit der Hand rieb er sich über das Gesicht. Sein Wolf knurrte ihn voller Verachtung an, wie stets, wenn er voller Reue an sie dachte.
    Ein Bote von Viktor hatte ihn unterrichtet, dass sie und Paulo inzwischen bei dem Ältesten angelangt waren. Seitdem zerbrach er sich den Kopf, was dort wohl vor sich gehen mochte. Ihm fielen zwei Möglichkeiten ein. Entweder überzeugte Viktor Veronika davon, dass es ihre Aufgabe war, die Prophezeiung zu erfüllen, oder sie weigerte sich. Er glaubte nicht, dass Viktor sie von ihren Pflichten entbinden würde, und dann blieben ihr nur Tod oder Flucht. Er ballte die Fäuste. Er hasste es, zur Tatenlosigkeit verdammt zu sein. Und er hasste es, dass sie ihn hasste. Niemals wieder würde er in ihren grauen Augen jene Hingabe lesen, die ihm wie das einzige Licht in der düsteren Welt erschienen war.
    Gábor holte tief Luft. Diese Gedanken brachten ihn nicht weiter. Also beendete er den Brief an die Gräfin, wenn auch mit einer krakeligeren Schrift als üblich, und gab ihn einem Bediensteten. Es war höchste Zeit, denn die Sonne stand bereits tief im Westen, und durch die offenen Fenster hörte er in der Ferne Reiter nahen. Er ließ die restliche Arbeit ruhen und ging nach draußen in den Hof. Aus dem Küchenbau wehte der Duft von Rebhühnern hinüber, die über dem offenen Feuer schmorten. Miklos hatte sie heute Morgen im Wald erlegt. Der Junge gesellte sich nun wortlos zu ihm. Er hatte sein neues Wams angelegt, das er in Prag für teure Gulden erstanden hatte, und die Art, wie er seine Knöchel knacken ließ, verriet seine Nervosität.
    Sie erwarteten Pavels Ankunft. Der Feldherr würde einen Gast aus dem Gefolge des Königs mitbringen: Mathias, den letzten Sprössling aus dem Geschlecht der Hunyadis. Er war immer noch ein Gefangener des Königs, doch gleichzeitig der Graf von Temeschburg und vielen anderen Ländereien. Heute Abend würden Gábor und Miklos ihm wahrscheinlich den Diensteid schwören. Gábor war deshalb ebenfalls unruhig, auch wenn er sich äußerlich nichts anmerken ließ. Was für ein Mensch war Mathias wohl?
    Selbst in Prag kannten die Leute Geschichten über ihn und den goldenen Käfig, in dem er lebte. Dass der Junge beim König, der seinen Bruder ermordet hatte, so tapfer ausharrte und sogar die Pflichten eines königlichen Kämmerers erfüllte, bot Raum für Mitgefühl und zugleich Bewunderung. Seit einigen Monaten hatte er zudem in Michael Szilagyi einen starken Unterstützer an seiner Seite. Dieser hatte es aufgegeben, in Belgrad zu brüten, und war nach Buda gezogen, um ein Amt im Reichstag anzunehmen. Mochte der König ihn auch nicht gerne sehen, Michaels hoher Adelsstand und sein Einfluss bei Hofe machten es unmöglich, ihn einfach wegzuschicken. Michael hatte seinen Neffen nun nach Prag begleitet – um auf seine Gesundheit zu achten, wie er in einem Brief geschrieben hatte. Gábor argwöhnte eher, um seinen Einfluss auf den Jungen noch zu vertiefen. Er dachte an das Versprechen, das Michael und er dem verstorbenen Graf geleistet hatten: einen seiner Söhne zum König zu krönen. Inzwischen bereute er es mehr denn je. Laszlo hatte sich als jähzornig und unfähig erwiesen. Ob sein kleiner Bruder anders war? Heute Abend würde er die Entscheidung treffen müssen, ob er ihm ebenfalls dienen wollte.
    Der Reitertrupp erreichte das Tor, von Pavel angeführt. Aufgrund der Sommerhitze trug er über den Reiterstiefeln und dem Leinenbeinkleid nur eine Lederweste, die

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