Mondherz
anmerken, dass er Mathias durchschaute. »Worum geht es, Euer Durchlaucht?«
»Graf Vlad Drăculea, der neue Fürst der Walachei.« Aufmerksam musterte Mathias Gábor, ehe er weitersprach. »Er hat sich letztes Jahr das Land gegen den Willen Ungarns angeeignet. Keiner weiß, ob er sich als wertvoller Bündnispartner oder gefährlicher Feind entpuppen wird. Auf die ersten Annäherungen unseres Königs reagiert er bisher so zögerlich, dass manche sein Verhalten bereits als Affront betrachten. Mit einer Hochzeitseinladung würde der König ihn offiziell als Landesfürsten anerkennen. Ich frage Euch, ist das klug?«
Gábor musste nicht lange überlegen. »Drăculea wird sich für diese Einladung kaum bedanken«, erwiderte er. »Wenn er denkt wie sein Vater, wird er dahinter nur Tücke vermuten und glauben, dass man ihn festnimmt, sobald er in Buda erscheint. Unserem König hingegen wird eine solche Einladung vom Volk als Akt der Schwäche ausgelegt werden. Jeder weiß, dass Drăculeas Machtergreifung unrechtmäßig war. Er ist nicht vertrauenswürdig. Deshalb rate ich davon ab.«
»Ich meine, dass wir gut daran täten, ihn auf unserer Seite zu wissen«, widersprach Michael. Er strich sich über die seidene Tunika und maß Gábor mit einem kühlen Blick. »Wir sollten mit ihm Verträge schließen und ihm Honig um den Bart schmieren. Wenn er uns aus der Hand frisst, wird er uns auch gegen die Türken unterstützen.«
Der Sohn von Dracul, der jemandem aus der Hand fraß? Gábor runzelte die Stirn, doch er sagte nichts. Er wollte mit Michael nicht vor Mathias streiten. Doch er war entsetzt über die Vorstellung, einen Bund mit Drăculea zu schließen. Hatte Michael vergessen, was der alte Dracul Viktor und ihren Wolfsbrüdern angetan hatte?
Er sah zu Pavel, der bisher kaum etwas gesagt hatte. Der Älteste pulte so konzentriert mit seinem Dolch zwischen den Zähnen nach Essensresten, als ob ihn das Gespräch nichts anging. Als er jedoch Gábors Blick spürte, erwiderte er ihn mit hochgezogenen Augenbrauen, und Gábor wusste, dass der Feldherr ihren Worten genau gefolgt war. Allerdings schien er keine Notwendigkeit zu sehen, sich einzumischen. Gábor senkte den Blick. Es war riskant, einem Ältesten allzu lang in die Augen zu blicken. Er konnte es als Provokation auffassen.
Er atmete tief durch und wandte sich wieder an Mathias. »Drăculea zu vertrauen ist, als lege man einer Natter die Hand in den Mund«, sagte er. »Denkt daran, was er seinem Volk antut. Vor wenigen Wochen erst hat er vor den Mauern seiner Festung Hunderte Zigeuner pfählen lassen, und es heißt, er hätte vom Fenster aus zugeschaut und dabei genüsslich gefrühstückt.«
»Er ist ein Ungeheuer«, stieß Miklos hervor. Seine vernarbten Wangen leuchteten rot. Er war der schwächste Wolf in der Runde, und deshalb geziemte es sich eigentlich nicht, dass er sich zu Wort meldete. Doch Gábor wusste, wie sehr Miklos Ungerechtigkeiten hasste. Er nickte seinem Schüler zu, dann sah er wieder zu Mathias hinüber. Der Junge hatte den Kopf nachdenklich zur Seite geneigt. Alle starrten ihn nun an. Selbst Pavel stellte das Herumpulen in seinen Zähnen ein und wartete auf Mathias’ Entscheidung.
»Ich stimme Gábor und Miklos zu«, sagte Mathias schließlich. »Drăculea ist nicht zu trauen.«
Miklos stieß einen erleichterten Pfiff aus. Michael wollte auffahren, doch ein scharfer Blick von Pavel ließ ihn verstummen. Mathias sprach weiter, leise und in Gedanken versunken. »›Wie es etwas in höchstem Grade Gutes ist, wenn einer die Macht in der Herrschaft über viele gut gebraucht, so ist es im höchsten Grade ein Übel, wenn er sie missbraucht.‹«
Pavel runzelte die Stirn. Michael sah verständnislos drein. In Gábors Brust breitete sich hingegen ein warmes Gefühl aus. »›Macht aber kann sich zum Guten und zum Bösen wenden‹«, sagte er. »Ihr zitiert Thomas von Aquin.«
»Ja.« Ein Strahlen ging über Mathias’ Gesicht. »Ihr habt ihn ebenfalls gelesen.« Für einen Moment sahen sie sich an, gegenseitiges Verstehen lag in ihren Blicken.
»Das hilft uns nicht weiter«, unterbrach Michael mürrisch ihren stummen Austausch. »So oder so ist König Ladislaus ein feiger Hund, der nichts tut, ohne dass es ihm seine Berater vorgekaut haben.«
»Trotzdem ist er mein König, und ich habe ihm Treue geschworen«, erwiderte Mathias sanft. Gábor konnte nur vermuten, was in dem Jungen vorging, doch er spürte die Spannungen zwischen ihm und seinem
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