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Mondherz

Mondherz

Titel: Mondherz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christiane Spies
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wenn er davon erführe, und selbst mit den neuen Kräften konnte ich kaum hoffen, ihn zu besiegen. Also floh ich. Viele Tage folgten sie meiner Spur, doch letztendlich war ich schneller.«
    »Was ist aus diesem Rudel geworden?«, fragte Veronika nach. Gábor hatte ihr einst gesagt, es gäbe keine Werwölfe außerhalb des Bundes. Hatte er gelogen?
    »Sie sind weiter nach Norden gezogen«, sagte Viktor. »Auch als wir viele Jahre später in gutem Willen Botschafter schickten, lehnten sie jede Annährung an den Wolfsbund ab. Vor etwa zwölf Jahren schickte der Bund das letzte Mal eine Gruppe Werwölfe zu ihnen. Sie sollten sie vom Bund überzeugen oder endgültig auslöschen. Doch sie waren verschwunden. Zuletzt soll sie ein junger Werwolf angeführt haben, den sie aufgrund seines dunkelgrauen Fells den Schattenwolf nannten.«
    Schattenwolf.
Unwillkürlich fröstelte Veronika bei diesem Namen.
    »Die Gerüchte, die über ihn verbreitet wurden, sprechen dafür, dass er verrückt war wie ein Derwisch«, sagte Viktor. »Wahrscheinlich hat er sein eigenes Rudel ausgerottet.«
    Veronika wollte eine weitere Frage stellen, doch er hob abwehrend die Hand. Anscheinend wollte er erst seine Geschichte zu Ende erzählen.
    »Als ich dem Rudel entkommen war, wanderte ich als Bettelmönch durch die Lande«, fuhr er fort. »Am Ufer des Schwarzen Meeres entlang kam ich immer weiter nach Süden. Es war nicht weit von hier, als ich das erste Mal das Elend sah, das die Türken anrichteten. Verwüstete Dörfer und Leichen auf den Straßen.« Er knirschte mit den Zähnen, bevor er einmal tief durchatmete. »Doch in den schwelenden Ruinen eines Dorfes stieß ich auf einen Trupp walachischer Ritter, die die Türken verfolgten. Ihr Anführer hieß Mircea. Er bat mich, für sie zu beten. Das war im Jahr 1380 .«
    Veronika schloss die Augen, um nachzurechnen. Sie staunte. Fast achtzig Jahre war das her.
    »Mircea war der Sohn des Woiwoden Radu, des Herrschers über die Walachei«, erklärte Viktor. »Ich trat als Priester in seine Dienste und traf schließlich auch auf andere Werwölfe. Sie führten mich in den Bund ein, dem ich mich frohen Mutes anschloss. Und da Mircea ein wahrhaft guter Mann war, klärte ich ihn bald über meine wahre Natur und den Wolfsbund auf und vertiefte mein Dienstversprechen zu einem lebenslangen Schwur. Ich gründete ein Rudel, das allein den Idealen des Bundes diente. Im Jahr 1386 bestieg Mircea nach dem Tod seines Vaters den walachischen Thron. Ich blieb sein engster Berater und Freund. Er war ein begabter Herrscher, und er erkannte bald, was seine Lebensaufgabe war: Der Kampf gegen das Osmanische Reich. Er schloss Bündnisse mit anderen Fürsten des Abendlands. So konnten wir die Türken zurücktreiben, Jahr für Jahr. Mirceas Ansehen in der Welt wuchs. Er sorgte dafür, dass die Ungarn, die Polen und die Franken sicher vor den Türken leben konnten.« Er hielt inne. Unwillkürlich beugte sich Veronika näher zu ihm, als könne sie ihn damit zwingen weiterzureden.
    »Eines Tages kam einer der anderen Werwolfältesten zu mir. Er war alt, älter als ich heute bin, und er lebte mit seinem Rudel in Böhmen. Wie ich war er einst ein Mönch gewesen. Ihm oblag es, die alten Geschichten der Werwölfe zu hüten. Er wollte mir dieses Amt übergeben. Von ihm erfuhr ich erstmals von der Prophezeiung der heiligen Agnes.«
    Veronika runzelte die Stirn. Sie hatte doch gewusst, dass Viktor früher oder später darauf zu sprechen kommen würde.
    »Ich leistete ihm den Schwur, die Prophezeiung weiter zu hüten«, fuhr Viktor fort. »Viele Generationen von Werwölfen hatten dieses Amt vor mir ausgeübt. Manche hatten nach der Frau gesucht, doch keiner hatte sie gefunden. Das erzählte mir der Alte, und er übergab mir die Dokumente. Drei Wochen später hörte ich durch einen Boten, dass er gestorben war. Sein Nachfolger wurde Pavel von Breunen.«
    Veronika hob die Augenbrauen. Ob Pavel verärgert gewesen war, dass er nicht nach seinem Ältesten der neue Hüter der Prophezeiung wurde?
    Viktor atmete tief durch. Seine Miene verdüsterte sich. Im gleichen Augenblick zischte eine der Fackeln und erlosch. Die Schatten an den Wänden streckten ihre Arme nach ihnen aus.
    »Mircea erzählte ich nichts von der Prophezeiung, und dies war gut so. Denn es gab einen in seiner Familie, der Mirceas gute Werke verdarb. Wer weiß, was geschehen würde, wenn dessen Nachkomme heute von der Prophezeiung wüsste.« Er lehnte sich zurück und sein Gesicht

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