Mondherz
seine Geschichte. Einst war er ein ungarischer Bauernjunge gewesen. Die Janitscharen hatten ihn als Kind in den Dienst gepresst, und jetzt wusste er nicht mehr, wohin er gehörte.«
»Gábor«, flüsterte Veronika. Ihr Herz zog sich zusammen.
Viktor nickte. »Gott hatte ihn mir geschickt, damit ich mehr über die Türken lernen konnte. Ich biss den Jungen und nahm ihn als meinen Schüler auf. In einer Waldhütte am Fuße der Karpaten verbrachten wir ein Jahr, in dem ich ihm alles beibrachte, was ich wusste. In der Zwischenzeit schickte ich meine Boten aus, um etwas über seine genaue Herkunft zu erfahren …« Seine Stimme verebbte.
Veronika starrte ihn an. »Und?«, fragte sie nach.
Doch er runzelte die Stirn. »Das ist nicht wichtig.«
Sie wollte ihm widersprechen, doch sie sah den Ärger, der seine Miene zerfurchte. So als hätte er aus Versehen zu viel erzählt. Sie dachte an die wenigen Dinge, die sie bisher von Gábors Vergangenheit wusste. Hatte es während der Belagerung von Belgrad nicht Gerüchte gegeben, dass der entkommene Spion etwas über Gábors unbekannten Vater herausgefunden hatte? Sie musterte Viktor. Was wusste er? Doch er ignorierte ihre Blicke, hatte bereits wieder begonnen zu sprechen. Vielleicht konnte sie ihn später danach fragen. Sie umschloss ihren Weinbecher fester und konzentrierte sich wieder auf seine Worte.
»Danach nahm Graf Hunyadi ihn in seinen Dienst und schlug ihn bald zum Ritter. Einige Jahre blieb ich bei ihnen, und in jener Zeit verwandelte ich Michael Szilagyi. Er war bei einem Reitunfall tödlich verletzt worden, und sein Schwager Hunyadi bat mich, sein Leben durch den Wolfskuss zu retten.«
Die Fackeln knisterten leise. Veronika dachte an Gábor und Michael, beide im selben Rudel und doch so verschieden.
»Als Gábor und Michael ihre Stellung an Hunyadis Hof gefunden hatten und Michael bereits sein eigenes kleines Rudel zu gründen begann, zog ich mich wieder in die Karpaten zurück. Mein Dienst war erfüllt. Ein Jahr später zogen Gábor und Michael mit Graf Hunyadi in die Schlacht um Warna. 1444 war es, und Vlad Dracul zeigte endlich sein wahres Gesicht.« Viktor grollte, fast meinte Veronika zu sehen, wie seine Zähne zu Wolfsfängen wuchsen.
»Er lief zu den Türken über und wurde zum Verräter an der Christenheit. Wir verloren die Schlacht. Doch damit nicht genug: Dracul nahm Hunyadi gefangen und ergriff auch einen von Michaels Werwölfen. Er folterte ihn, bis der ihm mein Versteck verriet. Gábor kam, um mich zu warnen, und so floh ich erneut vor Draculs Schergen.« Viktor schwieg für einen Moment, dann sah er Veronika direkt an. »Die überwältigende Macht der Türken, Verräter in den eigenen Reihen … die Christenheit schien dem Untergang geweiht. Damals wurde mir eines klar: Es war Zeit für die Prophezeiung. Nur sie konnte uns noch retten.«
Veronika schüttelte den Kopf, sagte jedoch nichts.
»Gábor war jung und skeptisch, doch er leistete mir den Schwur, nach der prophezeiten Frau zu suchen«, fuhr Viktor fort. »Diese Aufgabe war die Bürde, die er über die folgenden Jahre zu tragen hatte.«
Jetzt konnte Veronika nicht mehr an sich halten. »Eine Bürde? Er hat unschuldige Frauen umgebracht!«
»Er hat dich gefunden. Und meine Geschichte ist noch nicht zu Ende.« Seine Kraft fegte wie ein kalter Windstoß über sie hinweg. Sie senkte den Kopf.
»Michael und Gábor konnten Graf Hunyadi aus Draculs Kerker befreien. Hunyadi stellte eine neue Truppe zusammen und kehrte in die Walachei zurück. Als er Dracul tötete, dankte ihm das ganze Reich dafür.« Er kniff die Augen zusammen. »Doch diese Atempause ist vorbei. Hunyadi ist tot, und Ungarn hat einen allzu schwachen König. Draculs verdorbene Saat hat sein Erbe angetreten, sein Sohn Drăculea. Nach dem, was mir meine Kundschafter berichten, ist er noch schlimmer als sein Vater.« Er ballte seine Hand zur Faust, und Veronika sah, wie die Adern an seinem Arm hervortraten. »Seine Kindheit hat er als Geisel am Hof des Sultans verbracht. Nach dem Tod seines Vaters ging er ins Exil. Keiner dachte mehr an ihn, doch letztes Jahr hat er unsere Schwäche nach Hunyadis Tod ausgenutzt und ist in die Walachei zurückgekehrt. Er ermordete den Fürsten und hat so den Thron auf die gleiche Weise erobert wie sein Vater.«
Veronika nickte beklommen. Über Graf Drăculea und seine Barbareien kursierten finstere Gerüchte. Es hieß, dass er grausame Foltermethoden bei den Türken gelernt hatte, die er jetzt
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