Mondherz
verschmolz mit den Schatten, als sei er ein Teil von ihnen. Veronika fröstelte.
»Vlad, Mirceas zweiter Sohn, war ein unehelicher Bastard.« Seine Stimme klang dunkel wie eine Drohung. »Als er noch ein Kind war, ertappte ich ihn dabei, wie er Tiere quälte. Später belog er seine Lehrer und misshandelte seine Halbbrüder. So entschloss ich mich, Mircea zu warnen. Er ignorierte meine Warnungen zuerst, denn er konnte nicht glauben, dass seinem Samen solche Bosheit entsprang. Fast hätten wir uns darüber entzweit. Vlad spürte, dass ich ihn ablehnte und tat alles, um mir zu gefallen. Dafür verachtete ich ihn. Ich unterschätzte ihn auch, und das war mein Fehler. Mircea schickte ihn schließlich an den fernen Hof des deutschen Kaisers Sigismund, und ich vergaß ihn. Als Mircea nach vielen Jahren starb, hatte ich die mittleren Jahre schon überschritten. Sein Sohn Alexandru, Vlads älterer Halbbruder, wurde der neue Fürst. Ich blieb an seiner Seite. Obwohl ihm die Entschlossenheit seines Vaters fehlte, regierte Alexandru gerecht und schätzte meinen Rat. Vlad war inzwischen in den engsten Kreis des deutschen Kaisers aufgestiegen. Er wurde ein Mitglied des neu gegründeten kaiserlichen Drachenordens. Von da an nannte er sich Vlad Dracul – Vlad, der Drache.«
Veronika riss die Augen auf. Von Dracul und seinem Verrat an der Christenheit hatte sie bereits als Kind gehört.
»Der Drachenorden bestand aus Rittern des Hochadels. Er hatte sich dem hehren Ziel verschrieben, das Christentum zu verteidigen.« Viktor schnaubte verächtlich. »Im kaiserlichen Wien war es leicht, Reden zu schwingen und Orden zu gründen, während Alexandru und ich Jahr für Jahr die Grenzen verteidigten. Vlad Dracul hatte uns jedoch nicht vergessen. Bedächtig mahlten die Mühlen seiner Intrigen, und er überzeugte Kaiser Sigismund allmählich von Alexandrus Schwäche. 1436 kam es zum Verrat. Falsche Boten brachten die Nachricht nach Wien, dass Alexandru einen Vertrag mit den Türken geschlossen hatte. Sigismund befahl Dracul, Truppen zusammenzustellen und die Walachei zurückzuerobern. Als wir davon erfuhren, war es bereits zu spät. In nur einer Nacht überrannte Dracul uns. Er tötete seinen Halbbruder und setzte mich gefangen.«
Atemlos lauschte Veronika Viktors Worten. »Und dann?«, flüsterte sie, ehe sie sich zügeln konnte.
»Vlad Dracul krönte sich zum neuen Fürst, dann kam er zu mir.« Er schüttelte den Kopf. »Er dachte tatsächlich, dass ich ihm nun dienen würde. Ich lag in Fesseln, doch ich lachte ihn aus. Er versuchte es mit Schmeicheleien und mit Gewalt, aber ich weigerte mich.« Seine Augen blickten grimmig in die Ferne. »Während ich noch im Kerker saß, tötete er die meisten Männer meines Rudels. Drei blieben übrig, und ihnen gelang es, mich zu befreien. Ich wollte den Kampf gegen die Türken jedoch nicht aufgeben. Ich musste einen neuen Dienstherrn finden, einen fähigen Mann, der sich christlichen Werten verschrieben hatte. Am Hof des Kaisers fand ich ihn, einen ebenso tapferen Streiter, wie Mircea es gewesen war: Johann Hunyadi.«
Veronika nickte. Davon wusste sie bereits aus Gábors Erzählungen. Viktor musste damals schon alt gewesen sein.
»Graf Hunyadi, der Vlad Dracul aus den Jahren an Sigismunds Hof kannte, traute ihm ebenso wenig wie ich. Und unser Misstrauen bestätigte sich. In den Schlachten, die wir gegen die Türken schlugen, erwiesen sich Draculs Männer stets als die Wankelmütigsten. Zur Verteidigungsschlacht um Semendria tauchten sie gar nicht erst auf.«
Vom Kampf um die serbische Stadt Semendria hatte Veronika schon gehört. Sie runzelte die Stirn. Hatte Gábor ihr davon erzählt?
»Semendria fiel.« Viktor schüttelte traurig den Kopf. »Durch eine List war es den Türken gelungen, ein Tor zu öffnen und in die Stadt einzudringen. Unsere Männer starben wie die Fliegen. Ich verlor die letzten drei Werwölfe meines Rudels.« Die Falten auf seiner Stirn vertieften sich, und er sah plötzlich aus wie der Greis, der er tatsächlich war. »Meine Wölfe waren tot, die Türken stark wie nie zuvor. Ich war bereits alt, sollte ich noch einmal von vorne beginnen? Ich verließ Hunyadi und zog mich in die Wälder zurück, um Gott zu fragen, welche Aufgabe er noch für mich hatte. Es dauerte nicht lange, bis er mir seine Antwort schickte. Auf meiner Wanderung stieß ich auf einen jungen Türken, halb verhungert und panisch. Er war aus Semendria geflohen, und für ein Stück Brot erzählte er mir
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