Mondherz
bei seinen Gefangenen anwendete. »Weiß Drăculea über die Werwölfe Bescheid?«, fragte sie.
Viktor nickte.
»Und hasst er uns so wie sein Vater?« Ihre Stimme bebte.
Viktor musterte sie. Er schien überrascht von ihrer Furcht zu sein. »Ja«, sagte er schlicht. »Doch er kennt uns zu wenig, um wirklich gefährlich zu sein. Schlimmer ist seine Skrupellosigkeit. Er sagt zwar, dass er die Türken hasst, nur glaube ich nicht daran. Wenn es Drăculea Vorteile bringt, wird er nicht zögern, sich mit den Türken zu verbünden.«
»Jemand muss ihn daran hindern«, flüsterte Veronika. »Jemand muss ihn töten.«
Viktor verengte die Augen zu blauen Schlitzen. »Ich hätte nicht wenig Lust dazu. Doch die Gesetze unseres Bundes sprechen dagegen.«
»Warum?«, fragte Veronika.
»Wir ermorden keine Fürsten, weil wir mit ihrer Politik nicht einverstanden sind.« Die Wut in Viktors Augen sprach allerdings eine andere Sprache. »Fängt der Bund einmal damit an, wird er das Morden nicht mehr beenden können, bis er selbst die Menschen regiert. Vor Hunderten Jahren hat sich der Bund deshalb gegen einen solchen Weg entschieden.«
»Und wenn Drăculea uns Werwölfe angreift?«
»Dann haben wir tatsächlich einen Grund, ihn zu töten«, erwiderte Viktor grimmig.
Veronika holte tief Atem. Sie wollte endlich etwas loswerden, was ihr schon seit langem auf der Seele brannte. »Ihr tut Euch leicht, große Worte zu schwingen«, stieß sie hervor. »Aber Ihr habt Euch hierher in die Einsamkeit zurückgezogen. Euer Rudel muss dort draußen ohne Euch zurechtkommen.«
Angespannt zog sie die Schultern an, wartete auf seine Reaktion. Sein Gesicht regte sich nicht. Doch wieder spürte Veronika seine Kraft wie einen kalten Wind auf ihrer Haut.
»Es ist dreist, mir das vorzuwerfen.« Er klang gereizt. »Du verhältst dich doch ebenso.«
»Ich?« Sie riss empört die Augen auf. »Ich bin nicht einmal ein Mitglied des Bundes!«
»Doch du bist ein Werwolf wie ich«, fuhr er sie an. Seine Augen blitzten eisig. »Ich bin alt, und ich habe viele Männer sterben sehen. Ich habe mein Schicksal fast erfüllt und bin vielleicht müde geworden, doch nicht müde genug, um zu schlafen, wenn die Welt meine Hilfe braucht.«
»Ich schlafe nicht«, rief Veronika erbost. »Und die Welt braucht meine Hilfe nicht, nur Ihr und der Bund!« Ihre Wölfin duckte sich. Doch sie wollte sich nicht mehr zur Demut zwingen lassen. »Ihr wollt mich benutzen wie eine Zuchtstute, und dabei interessiert es Euch nicht einmal, was ich darüber denke.«
»Was du denkst, ist tatsächlich nicht wichtig.« Er zuckte die Schultern. Seine Wut schien schon wieder verraucht zu sein, als sei es Veronika nicht wert, sich aufzuregen. »Du kannst dein Schicksal ablehnen, aber du wirst nichts daran ändern.«
»Doch!« Ihre Stimme wurde schrill, und sie merkte selbst, wie unsicher sie klang. »Ich habe einen freien Willen.«
Er schüttelte den Kopf und verzog den Mund zu einem spöttischen Lächeln. »Du weißt nichts über den freien Willen. Du weißt nur, was du nicht willst.«
Seine Worte waren wie Nadeln, die durch ihre Haut stachen. Endlich gab sie dem Drängen ihrer Wölfin nach. Sie fuhr wimmernd herum und floh aus Viktors Kammer, ohne sich noch einmal umzudrehen.
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22 . Kapitel
Sfântul Munte, Herbst 1457
V eronika ließ das Messer sinken, mit dem sie soeben einen Brotlaib in Scheiben geschnitten hatte, und hob den Kopf. Die Geräusche von Reitern klangen aus dem Tal herauf, und sie näherten sich rasch.
Die drei Romafrauen, die mit ihr am Feuer saßen, hatten Veronikas Innehalten bemerkt und sahen sie aufmerksam an.
»Reiter kommen.« Sie deutete auf den Pfad, der sich in Serpentinen zwischen Felsen und Heidekraut den Hügel hinabwand und im Wald weiter unten verschwand. »Dort.«
Jene Frau, die ihre Sprache am besten verstand, reagierte sofort. Sie steckte zwei Finger in den Mund und stieß einen gellenden Pfiff aus. Alle erhoben sich, die Kinder sprangen herbei und Männer und Alte schauten aus den Höhleneingängen. Das Hufgetrappel wurde lauter, und bald hörten es auch die Menschen. Veronika las die Unruhe in ihren Blicken, musterte die aufgeregten Gesichter.
Es waren mindestens sechs Pferde, das konnte sie inzwischen hören. Sie starrte den Pfad hinunter, auf den düsteren Wald, aus dem die Reiter zum Vorschein kommen mussten. Ihr Herz klopfte schneller vor Aufregung. Wer mochte das sein? Unwillkürlich schnupperte sie, suchte nach dem vertrauten
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