Mondherz
in Buda weilte. Bis sie Fragen stellen konnten, würde der Leichnam längst begraben sein.
Gábor löste sich aus den Menschenmassen und verfolgte den Trauerzug in einiger Entfernung durch Seitengassen. Miklos blieb wie stets an seiner Seite. Sein vernarbtes Gesicht unter der Kapuze sorgte für weniger neugierige Blicke als sonst, denn kaum ein Bürger hob bei diesem Nieselregen den Kopf. Inzwischen war es auch nicht mehr wichtig, ob sie jemand erkannte, denn nun, da der König tot war, würde sie auch niemand mehr festnehmen wollen.
Als der Trauerzug die Sankt-Veits-Kathedrale unterhalb des königlichen Viertels erreicht hatte, beschlossen die beiden Werwölfe umzukehren. Gábor wusste, was nun folgen würde, denn er hatte es bereits vor mehr als zehn Jahren beim letzten König erlebt. Die letzten Weihen, der Segensspruch des Bischofs, die Aufbahrung in der Kirche und die endlosen Schlangen der Bürger, die einen letzten Blick auf den prunkvoll geschmückten Toten werfen wollten. Angeblich hatte es den Einsatz zahlreicher Salben und Pflaster gebraucht, bis die Mönche das verzerrte Antlitz des Königs, das lebend so liebreizend gewesen war, in einen vorzeigbaren Zustand gebracht hatten. Dies hätte Gábor nicht gleichgültiger sein können. Wieder verirrten sich seine Gedanken weg von Prag und hin zum Sfântul Munte. Hätte er Viktor ein paar Söldner schicken sollen, um Veronika zu beschützen? Doch kein Mensch außerhalb des Romavolkes durfte von den Höhlen erfahren. Nein, er konnte nichts tun, außer zu hoffen, dass Viktor doch klug genug war, um das Mädchen nicht in Gefahr zu bringen.
Immer weiter entfernten sie sich von dem Trauerzug. Miklos schien Gábors innere Kämpfe zu spüren, denn er warf ihm einen fragenden Blick zu. Gábor zwang sich, die Fäuste wieder zu öffnen. Miklos war ihm stets treu geblieben, und er konnte es seinem Schüler nur damit danken, ihm ein gutes Vorbild zu sein – ein besseres, als er es bisher gewesen war.
»Gehen wir zurück.« Er klopfte ihm auf die Schulter. »Wir sollten ein paar Briefe schreiben.«
Am Tag zuvor war Mathias’ Gefangenschaft vom böhmischen Regenten Podiebrad offiziell aufgehoben worden. Er war in Podiebrads Residenz gezogen, und Gábor und Miklos waren mit ihm gekommen. Dort würden die ersten Verhandlungen, wer das Erbe des Königs antreten sollte, bald beginnen.
Am nächsten Tag schon rief Podiebrad die Würdenträger Böhmens zusammen. Sie versammelten sich im großen Saal seiner Residenz. Mathias war bei der Versammlung dabei und saß an Podiebrads Seite, als jener die Erklärung abgab, dass seine Regentschaft mit dem Tode des Königs nicht erloschen sei, sondern bis Pfingsten des nächsten Jahres gelte. Niemand erhob Einspruch dagegen. Der König war ohne Erben gestorben, und so war im Grunde wohl jeder froh, dass es jemanden gab, der wenigstens in Böhmen weiter Ordnung hielt. Kaum einer der versammelten Würdenträger bezweifelte, dass Podiebrad nach dem Ablauf seiner Regentschaft Anspruch auf den böhmischen Thron erheben würde. Mathias’ Anwesenheit zeigte, dass die beiden Familien bereits einen Bund geschlossen hatten. Podiebrad unterstützte Mathias’ Kandidatur für den ungarischen Thron, und im Gegenzug überließ dieser ihm die Macht in Böhmen.
Der neue König von Ungarn würde in Buda vom ungarischen Reichstag gewählt werden. Wie diese Wahl ausfallen würde, war noch ungewiss. Einigen Mitgliedern des Hochadels gefiel es nicht, wie sich die Hunyadis so rasch vom niederen Adel in die höchsten Kreise hochgearbeitet hatten. Genau aus diesem Grund konnte sich Mathias allerdings der Unterstützung des einfachen Volkes gewiss sein. Gábor hoffte besonders auf die Begeisterung der Stadtbevölkerung von Buda, welche die Stände im Reichstag unter Druck setzen würde. Auch der Papst würde hinter dem Sohn des Feldherrn stehen, der die Christenheit vor den Türken gerettet hatte.
Doch außer ihm gab es weitere Thronanwärter. Da waren die Gatten der Schwestern des verstorbenen Königs. Die Ältere war mit dem sächsischen Herzog Wilhelm, die Jüngere mit dem König von Polen verheiratet. Es war zu erwarten, dass beide Ansprüche sowohl auf den böhmischen als auch den ungarischen Thron stellen würden. Allerdings waren ihre Aussichten gering. Die ungarischen Stände schätzten Fremde nicht, die erst wenige Male ihr Land bereist hatten. Außerdem würde der deutsche Kaiser Friedrich wie immer Anspruch auf den Thron erheben. Doch
Weitere Kostenlose Bücher