Mondherz
Friedrich, der den Spottnamen ›des Reichs Erzschlafmütze‹ trug, wurde von jedem stolzen Ungarn nur belächelt. Mathias’ größtes Hindernis war der Palatin, der königliche Statthalter, der in der Abwesenheit des Königs alle Entscheidungen in Buda getroffen hatte. Er hieß Gara, und er war ein enger Vertrauter des verstorbenen Ulrich Cilli gewesen. Es galt als sicher, dass er ebenfalls für den ungarischen Thron kandidieren wollte.
Michael würde in den nächsten Tagen nach Buda abreisen, um dort im Reichstag die Interessen seines Neffen zu vertreten. Miklos würde ihn begleiten. Gábor schickte ihn nur ungern weg, doch er traute Michael nicht. Er brauchte Augen und Ohren am Budaer Hof, und Miklos konnte er vollständig vertrauen. Gábor selbst blieb bei Mathias. Für den jungen Grafen war die Reise zu gefährlich, solange der Palatin Gara noch Macht besaß. Er konnte diese unsicheren Zeiten ausnutzen, um Mathias im Namen des verstorbenen Königs erneut gefangen zu nehmen. Daher würden Mathias und Gábor den Winter über noch in Prag bleiben und konnten lediglich durch Briefe und Gesandtschaften versuchen, die Wahlen zu beeinflussen.
Allein auf den guten Willen der Stände wollte sich allerdings keiner von ihnen verlassen. So hatten sie der Gräfin Hunyadi bereits Anweisung gegeben, Truppen in Temeschburg zusammenzuziehen. Mit der finanziellen Unterstützung von Podiebrad und anderen Getreuen und der Anwerbung von Freiwilligen konnten sie ein beachtliches Heer zusammenbringen, das auf Mathias’ oder Michaels Befehl warten würde, um notfalls gegen Buda vorzurücken.
Schnell vergingen die Tage, während sie solch weitreichende Entscheidungen fällten. Morgen bereits würden Michael und Miklos in Richtung Buda aufbrechen.
Es gab kaum einen Augenblick, in dem Gábor mit Mathias länger alleine sprechen konnte, obwohl er wusste, wie dringend dies nötig war. Mathias war seit dem Tod des Königs ungewöhnlich wortkarg, seine Blicke nervös und seine Schultern verkrampft. All die Veränderungen mussten anstrengend für ihn sein. Doch dies war es sicherlich nicht allein, was den Jungen bedrückte.
Als Mathias sich mit einer Entschuldigung früh von dem opulenten Festmahl verabschiedete, das Podiebrand für Prags Würdenträger veranstaltete, nutzte Gábor die Gelegenheit und verließ die gesellige Runde wenige Momente nach ihm.
Er fand Mathias in seinem Gemach, wo er auf einer Bank im Dunkeln saß. Gábor zückte Feuerstahl und Zunder und entfachte die Flamme einer Talglampe, ehe er sich neben ihn setzte. »Was liegt Euch auf dem Herzen?«, fragte er. Mathias sollte ruhig lernen, dass er es bei ihm nicht nötig hatte, lange herumzureden.
Mathias fuhr sich mit den Fingern durchs Haar. In seiner Nervosität sah er unglaublich jung aus. »Eine Frage geht mir nicht aus dem Kopf.« Er sprach leise, obwohl außer ihnen niemand im Zimmer war. »Woran ist der König wirklich gestorben?«
Gábor nickte. Er hatte mit dieser Frage gerechnet, hatte sogar gehofft, dass Mathias sie stellen würde. »Er wurde ermordet«, sagte er ruhig.
Der Junge riss die Augen auf. »Ich dachte es mir«, flüsterte er.
Gábor sah, wie Furcht in seinen Augen aufstieg, aber er sah auch Wut, den ungeheuerlichen Verdacht.
»Steckt Ihr dahinter?«, fragte Mathias.
»Nein.« Er sah ihm geradewegs in die Augen.
»Wer dann?« Der Junge ballte die Fäuste.
Gábor atmete tief durch. Er empfand es nicht als Verrat, doch Genugtuung verspürte er genauso wenig. »Fragt Michael.«
»Michael«, wiederholte Mathias, und dann verdunkelte die Wut wie eine Gewitterwolke seine Miene. Er sprang auf. »Ich hätte mir denken können, dass er einfach tut, was er will!«, rief er. Seine Augen blitzten. »Lasst nach ihm schicken. Und dann weicht Ihr mir nicht von der Seite.«
Als Michael das Zimmer betrat, trug er weder Mantel noch Kopfbedeckung, und die blonden Haare klebten nass an seinem Kopf. Der Bote musste wirklich sehr auf Dringlichkeit bestanden haben.
»Was gibt es?«, fragte er. Er schaffte es, gleichzeitig Unruhe und gute Laune auszustrahlen. Er musterte Gábors ernstes Gesicht, dann seinen Neffen, der die Fäuste geballt hielt. Verwirrung zeichnete sich auf seinen kantigen Zügen ab.
»Setz dich.« Mathias’ Stimme war ruhig, doch Gábor hörte das Zittern dahinter. Auch Michael schien es gehört zu haben. Er blieb stehen.
»Es gibt sicher Wichtiges, dass ihr beide mich mitten in der Nacht bei meinen Reisevorbereitungen stört.«
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