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Mondherz

Mondherz

Titel: Mondherz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christiane Spies
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»Liegt es an deinem türkischen Blut, dass du es nicht verstehen willst?«
    Gábor hatte die Anspielungen auf seine Herkunft satt. Verstand Pavel wirklich nicht, worum es ihm ging? »Mein türkisches Blut ist jedenfalls menschlich genug, um zu erkennen, dass du falschliegst«, stieß er hervor. »Ich bin in einen Bund eingetreten, der den Menschen dient und sie nicht unterwirft.«
    »Und was willst du jetzt tun?« Pavels Augen wurden dunkel. Er hob die Oberlippe. »Willst du mich herausfordern?«
    Gábor ballte die Fäuste. Er hatte Lust, es zu tun, er wollte seinen Wolf freilassen und Pavels Blut schmecken. Seine Finger zuckten. Für einen Moment schien die Luft stillzustehen.
Nein.
Er senkte den Kopf und unterbrach damit den Blickkontakt. Er musste vernünftig bleiben. Ein Kampf gegen Pavel war Selbstmord. Tief atmete er durch.
    »Ich werde Viktor über den Mord Bericht erstatten«, sagte er. »Die anderen Ältesten müssen entscheiden, wie sie euren Verstoß gegen die Gesetze des Bundes bestrafen.«
    »Und was«, Pavel trat langsam auf ihn zu, »soll mich daran hindern, dich hier und jetzt zum Schweigen zu bringen?«
    Gábors Hände waren immer noch zu Fäusten geballt. Fest drückte er die Fingernägel in die Handballen. Alle Geräusche schienen zu verstummen, um seiner Antwort zu lauschen. Er hob den Kopf und starrte Pavel geradewegs in die Augen. »Gott ist mein Zeuge. Wenn du einen unschuldigen Werwolfbruder umbringst, überschreitest du eine Grenze, hinter die du nie wieder zurückkannst.«
    Pavels Augen waren wie zwei glänzende Knöpfe aus Bronze. Gábor konnte nichts darin lesen, doch er senkte den Blick nicht. Er blieb reglos stehen, und es schien, als wären beide Werwölfe zu Statuen erstarrt.
    Schließlich hob Pavel das Kinn, und das genügte, um die Starre zu lösen. »Heute lasse ich dich gehen«, sagte er grollend. »Aber ich werde dich im Auge behalten. Und jetzt«, er kniff die Augen zusammen, »erweist du mir als Ältestem den Respekt, der mir zusteht.«
    Gábor gehorchte. Wie von einem unsichtbaren Faden gezogen, senkte er den Kopf und bezeugte dem Dominanten so seine Ehrerbietung. Er fühlte sich dabei leer, als hätte ihn jemand ausgeweidet wie eine Jagdbeute. Nach einem Moment wandte er sich ab von Pavels kalten Augen und Michaels schadenfrohem Blick und verließ das Haus.
    In der gleichen Nacht schickte er den Romaboten mit einem Brief zurück zu Viktor. Etwas anderes konnte er nicht tun. Er verabscheute seine Machtlosigkeit. Das Dienstversprechen band ihn an Mathias, den er in dieser ernsten Lage nicht allein lassen konnte. Und die Gesetze seines Bluts verboten ihm, sich gegen einen Ältesten zu wenden. Deshalb konnte er weder Veronika helfen noch die Mörder bestrafen. Würde Viktor auf ihn hören und Veronika in Sicherheit bringen? Und gleichzeitig etwas gegen seinen Bündnisgenossen Pavel unternehmen? Vielleicht schafften seine Worte es wenigstens, Veronika vor der Gefahr zu warnen, in der sie sich befand. Er hatte den Brief auch an sie adressiert.
     
    Drei Tage später ballten sich dunkle Wolken über Prag. Sie waren die großen Brüder des Nebels, der seit Tagen in den Gassen hing. Die Pflastersteine waren nass und rutschig, sie glänzten jedoch nicht, sondern blieben stumpf wie das schlammige Wasser der Moldau.
    Die Stadt räkelte sich schlecht gelaunt wie eine verwöhnte Königin und gähnte jedem Besucher ihre Unlust entgegen. An den Häusern der Prager Bürger hingen schwarze Fahnen, schlaff und nass, als wären sie zu träge, dem König die letzte Ehre zu erweisen. Auch die Bewohner der Stadt hatten den König während seines kurzen Lebens nicht allzu gern gewonnen. Gábor argwöhnte, dass ihre vergrämte Stimmung eher vom schlechten Wetter als vom Tod des Königs herrührte.
    Nichtsdestotrotz hatten sich alle wichtigen Würdenträger in Schmuck und feinste Stoffe gehüllt, um nun lustlos dem Trauerzug durch die Straßen zu folgen. Der Sarg führte den Zug an, hinter ihm schritt der Prager Erzbischof, dann der böhmische Regent Podiebrad, dessen Miene in einer ernsten Grimasse erstarrt war. Auch Mathias hatte einen Platz in dem Tross, und Gábor sah sein blasses Gesicht aus der Ferne. Die Sorge, dass er des Königsmords verdächtigt wurde, hatte sich als unbegründet erwiesen. Offiziell hieß es, der König sei an einer schweren Krankheit seiner Gedärme gestorben. Wenige trauerten so sehr um ihn, dass sie für seinen Tod Schuldige suchten, zumal ein Großteil des Hofs weit weg

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