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Mondherz

Mondherz

Titel: Mondherz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christiane Spies
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gab es nicht, denn der Weg durch die Walachei war noch gefährlicher. Zwei ältere Männer und die beiden halbwüchsigen Ziegenhirten waren der einzige Schutz, den die Roma ihren Frauen mitgeben konnten.
    Veronika sah zu Viktor hinüber. Er lehnte an der Felswand und sah dem Abschied scheinbar mit teilnahmsloser Ruhe zu. Sie allein konnte spüren, wie schwach er immer noch war, und sie wusste, dass er an der Felswand lehnte, um Halt zu suchen. Ihr Herz war schwer vor Sorgen. Seine Verletzungen sollten schon längst ausgeheilt sein. Fehlte seinem Wolf die Kraft, den alten Körper wieder vollständig genesen zu lassen?
    In diesem Moment führte Solana die Phuri Dai zu ihm. Die alte Frau legte eine ihrer Hände an Viktors Wange und flüsterte einige Worte auf Roma. Veronika sah, wie sie lächelte. Doch als sie sich abwandte, wurde ihr Gesicht ernst, mehr noch, zwei Tränen rollten aus ihren blinden Augen.
Sie rechnet nicht damit, ihn wieder zu treffen,
erkannte sie erschrocken. Veronikas Blick suchte Solana, Ilai, Paulo und die anderen, die beschlossen hatten zu bleiben. Wenn Viktor starb, waren auch die verloren, die an seiner Seite kämpfen wollten.
    Nein! Sie schüttelte den Kopf und ballte die Hände unter ihrem Umhang zu Fäusten. Das würde sie nicht zulassen!
    Solana half ihrer Großmutter in den Karren, und dann setzte sich der Tross in Bewegung. Langsam zuckelten die Ochsen den Abhang hinunter, und die Verbliebenen sahen den Wagen nach, bis sie im Wald verschwanden.
    Die Höhlen wirkten leer und leblos, als die Familien fort waren. Zwei Dutzend Männer waren übrig geblieben, und die meisten scharten sich um ein Feuer, das geschützt in einem der Höhleneingänge brannte und die Kälte, die der scharfe Winterwind mitbrachte, ein wenig linderte. Manche Roma ölten ihre Armbrüste, andere schärften ihre Messer. Sie alle warteten, warteten auf die beiden Kundschafter, die sie in den Norden ausgeschickt hatten. Sie behielten Drăculeas Festungen im Auge, um zu erkennen, wann er seine Truppen ins Gebirge ausschicken würde. Ob es heute so weit war oder erst in Monaten, wusste niemand zu sagen.
    Veronika setzte sich zu Solana, die damit beschäftigt war, eine winzige Kappe für ihr ungeborenes Kind zu stricken. Sie war die einzige Romafrau, die in Sfântul Munte geblieben war. Nur ihre Starrköpfigkeit hatte ihren Vater und ihren Ehemann Senando schließlich nachgeben lassen. Veronikas und Senandos Blicke kreuzten sich. Obwohl sie nicht in derselben Sprache redeten, verstanden sie sich instinktiv. Veronika nickte dem breitschultrigen Geiger zu. Sie hatte sich geschworen, Solana und das ungeborene Kind zu schützen, egal was auf sie zukommen mochte.
    Vor wenigen Tagen hatte sie ihrer Freundin von der Prophezeiung erzählt – und das nur, weil Solana ihr keine andere Wahl gelassen hatte.
    »Wenn du mir nicht endlich sagst, was dich bedrückt, werde ich kein Wort mehr mit dir sprechen!« Die Romafrau hatte die Hände in die Hüften gestemmt und Veronika mit feurigem Blick gemustert. »Geht es um diesen Gábor, den Mann, den du liebst? Von Paulo war nur zu erfahren, dass ihr euch gestritten habt, aber nicht, worüber.«
    »Ich liebe Gábor nicht mehr«, hatte Veronika zwischen zusammengepressten Zähnen hervorgestoßen. »Ich hasse ihn.«
    Solana hatte nur den Kopf geschüttelt und sie in eine stille Ecke geführt. Dort hatte Veronika ihr alles erzählt. Ihre Flucht aus Temeschburg, der Streit, die Prophezeiung.
    »Hätte ich anders handeln sollen?«, fragte sie ihre Freundin.
    Solanas Augen waren voller Mitgefühl. »Du hast das Richtige getan«, meinte sie. »Du hast dich gegen Gábor zur Wehr gesetzt. Wie kann ein Mann nur eine Frau lieben und sie gleichzeitig ins Bett mit einem anderen zwingen wollen?« Sie schüttelte den Kopf. »Er muss entweder ein armseliger Charakter sein oder aufopferungsvoller als ein Heiliger.«
    »Er ist kein Heiliger«, stieß Veronika hervor, »sondern ein Bastard, der nicht verdient, dass ich mich um ihn schere!«
    Solana sagte nichts, drückte nur ihre Hand. Veronika spürte, wie ihr Herz in der tröstenden Gegenwart ihrer Freundin weich zu werden drohte. Aber sie wusste auch, wenn sie erst anfangen würde zu weinen, könnte sie nicht mehr damit aufhören. Sie schluckte krampfhaft. »Viktor hält ebenfalls an der Prophezeiung fest«, murmelte sie. »Wie kann er bloß glauben, dass ich die Auserwählte bin?«
    »Ich glaube es auch.« Solanas Stimme war leise, doch bestimmt.
    Veronika

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