Mondherz
zitterte unter ihrem Wollmantel vor Kälte. Veronika legte ihr eine Hand auf die Schulter und flüsterte ihr ins Ohr, dass ihre Wolfsohren Drăculeas Männer bereits hören konnten. Ihre Freundin würde nicht mehr lange frieren.
Verteilt an den Hängen kauerten hinter Büschen und Steinen andere Roma. Manche trugen Eibenbögen, andere hatten Armbrüste gespannt. Sie sah Paulo, der so angespannt dreinblickte, als wünschte er sich ganz weit weg. Er war mit seiner Steinschleuder bewaffnet.
Das Klappern der Hufe und das Waffengeklirr wurden lauter. Zwei Dutzend Söldner waren es, hatten die Kundschafter ihnen berichtet. Mehr schien Drăculea nicht für nötig zu halten, um einen alternden Werwolf und ein paar Zigeuner zu überrumpeln. Veronika konnte bald erste Stimmen unterscheiden, sie riefen sich Worte zu in einem rauhen walachischen Dialekt. Es konnte nun nicht mehr lange dauern.
Nur wenige hundert Schritt war die Klamm lang, und gerade so breit, dass ein Ochsengespann hindurchpasste. Sobald sich die nichtsahnenden Männer in der Mitte der Schlucht befanden, würde der Angriff beginnen.
»Akan!«,
schrie da ein Roma, der von seinem Versteck aus die ganze Schlucht überblicken konnte. »Jetzt!«
Pfeile und Armbrustbolzen schnellten durch die Luft. Paulo ließ seine Steinschleuder sirren. Veronika und Solana packten die Steine, die sie vor sich aufgehäuft hatten, und warfen sie in die Schlucht hinunter. Ilai und Senando hatten dafür gesorgt, dass Solana ganz oben in der Schlucht postiert worden war, und Veronika war bei ihr geblieben. Weiter unten versperrte ihnen ein Vorsprung die Sicht auf die Schlucht, und so konnten sie nicht sehen, ob ihre Steine auf Fleisch trafen, doch sie hörten die Schreckensschreie, das Wiehern der Pferde. Als sie alle Steine geworfen hatten, packte Veronika Solana an der Hand und zog sie zu einem Pfad, der sie weiter nach unten führte, bis sie die Schlucht besser sehen konnten.
Sie sahen einen blutigen Tumult. Verletzte Tiere trampelten mit Schaum vor dem Mund auf ihren Herren herum. Manche Reiter saßen noch; sie trieben ihre Pferde nach vorne, auf das Ende der Schlucht zu, doch dort sprangen Ilai und fünf seiner Männer aus dem Gebüsch. Mit Gebrüll und gezückten Dolchen stürzten sie den Reitern entgegen. Panisch stiegen die Pferde in die Höhe, warfen ihre Reiter ab. Die Kriegsknechte wichen wieder zurück, stolperten über ihre verwundeten Kameraden. In der Enge behinderten sie sich gegenseitig. Und immer mehr Gegner strömten herbei; die Roma, die ihre Pfeile verschossen hatten, warfen Bögen und Armbrüste beiseite und kletterten hinunter, um sich auf die Feinde zu stürzen. Der Schweiß des Kampfes und der Angst stieg bis zu Veronika herauf. Ihre Wölfin fletschte die Zähne. Sie packte Solanas Hand fester.
Manch ein Walache suchte nun sein Heil im Rückzug. Doch auch dieser war ihm verwehrt.
»Lupul«, hörte sie einen der Männer schreien, das walachische Wort für Wolf. Dort hinten wartete Viktor auf sie.
Veronika roch noch sein feuchtes Fell an ihrem Rock, wo der graue Wolf an ihr vorbeigestreift war, als sie sich getrennt hatten. Seine Wunden waren immer noch nicht vollständig verheilt, doch die Kraft der Wut war durch seinen hageren Körper geströmt, so dass ihre Sorgen etwas nachgelassen hatten.
Jetzt hörte sie den Ruf des Ältesten. Ein rauhes Heulen, das den Menschen wahrscheinlich das Blut in den Adern gefrieren ließ. Wer eine Warnung darin vermutete, irrte sich. Veronika hörte die Blutgier, die aus seinem Gesang sprach, die Wildheit und die Vorfreude, sich endlich auf die Feinde stürzen zu können. Das Heulen ließ ihr eigenes Blut schneller rauschen, dunkel trommelte ihr Puls. Ihre Wölfin wollte sie dort hinuntertreiben, sie wollte teilnehmen an dem finsteren Tanz der Jagd.
Hatten die Männer gewusst, welches Wesen sie im Namen Drăculeas jagen sollten?
Veronika hörte Viktors Geifern und dann das Knirschen seiner Zähne, als sie sich in das Fleisch eines Pferdes bohrten. Das Tier schrie, und dann waren es Menschen, die schrien, vielstimmig und schrill. Erst als Solana sie hart am Arm packte, merkte Veronika, dass ein Knurren tief aus ihrer Kehle kam. Ihre Schultern waren nach oben gezogen und verspannt.
»Es ist vorbei«, sagte Solana. »Sieh nur!«
Und tatsächlich, in dem Teil der Schlucht, den sie sehen konnten, hatten die Roma ihre blutigen Dolche gesenkt. Einer von ihnen, es war Ilai, steckte die Finger in den Mund und pfiff, das
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