Mondherz
gegen Werwölfe antraten. Sie hatten Umwege genommen, so dass ihr Geruch sie nicht verriet. Sie waren weit genug weg und leise genug gewesen, dass selbst Veronikas Ohren sie nicht hatten hören können. Der Wind hatte ihnen geholfen, und Viktors Verletzung, denn in gesundem Zustand wären seine Sinne wahrscheinlich zu scharf für sie gewesen.
Wo war er?
Sie spürte es mehr, als dass sie es hörte. Vorne im Wald. Dumpfe Schreie, Knurren. Es fand eine Jagd statt. Jagte er sie? Oder jagten sie ihn? Männer fielen, seine Zähne an der Kehle. Er würde sie aufhalten, lange genug. Aber jene, die von oben übers Schotterfeld kamen, waren Elitekrieger, und es waren viel zu viele.
Verzeih mir, Viktor. Aber ich muss die Menschen retten.
»Wir müssen umkehren!«, brüllte sie. »Noch können wir an ihnen vorbei, wenn wir schnell genug sind. Sie werden uns nicht in die Walachei folgen.« Das hoffte sie jedenfalls.
»Und lassen Viktor im Stich? Nein.« Ilai reckte das Kinn. »Kehre um, beschütze meine Tochter. Aber wir kämpfen.«
»Aber …« Veronika verstummte. Sie sah den Ernst in seinen Augen. Seine Ehre verbot es ihm zu fliehen. Erneut flogen Pfeile, und sie sah, wie einer Solana knapp verfehlte. Ihre Augen trafen sich. Doch ihre Freundin schüttelte nur den Kopf, riss einen Dolch aus ihrem Gürtel und starrte mit grimmigem Gesicht den heraneilenden Türken entgegen. Auch sie würde nicht fliehen.
»Ihr und euer verdammter Stolz«, stieß Veronika zwischen den Zähnen hervor. Es war ihr egal, dass sie fluchte.
Dann hatte sie keine Zeit mehr zu denken, denn die Türken waren heran. Ilai trieb sein Pferd auf sie zu. Er wollte sie über den Haufen reiten, doch auf dem Schotter stolperte sein Tier und wieherte schrill. Behende glitt er von seinem Rücken und rannte mit der Waffe in der Hand auf die Feinde zu. Seine Brüder folgten ihm.
Veronika drängte ihr Pferd an Solanas Seite und packte deren Zügel. Solana schrie wütend auf, doch Veronika ließ sich nicht beirren. Sie würde ihre Freundin in Sicherheit bringen! Hart riss sie die Pferde herum, warf gleichzeitig einen Blick auf die heranstürmenden Türken.
Der Kampf war von Anfang an ungleich. Mochten die Roma mit ihren Dolchen auch noch so geschickt sein, gegen die Elitekrieger kamen sie nicht an. Unbarmherzig pflügten die Säbel bereits durch die Reihen der Roma, als noch nicht einmal alle Türken heran waren.
Veronika sah Ilai fallen, sah seine dunklen Augen im Tode brechen. Neben ihr gellte Solanas Schrei. Sie wollte sich vom Pferd gleiten lassen, doch Veronika griff in ihre langen schwarzen Haare und hielt sie fest. »Lass mich zu ihm«, heulte die Roma. »Lass mich gehen!« Sie fuchtelte mit ihrem Dolch, dem Veronika gerade noch ausweichen konnte. Wiehernd bäumte sich ihr Pferd auf.
»Reiß dich zusammen«, schrie sie Solana verzweifelt an. Verstand sie nicht, dass sie nur versuchte, ihr Leben zu retten?
Ihre Wölfin jaulte. Etwas in ihrem Inneren bäumte sich auf. »Viktor«, flüsterte sie, merkte kaum mehr, wie Solana sich losriss. Es schien ihr, als wäre sie bei ihm, als sein Körper unter den Hufen eines Pferdes herumgeschleudert wurde, als sei er nur ein lebloses Fellbündel. Sie spürte den Schmerz, der wie Feuerzungen durch seinen Körper raste. Dann den Frieden, die Stille.
Verzeih mir, Tochter.
Der Gedanke durchfuhr sie wie ein Peitschenhieb. Dann riss ihre Verbindung und zurück blieb nur schwarze Leere.
»Nein«, flüsterte sie, dann schrie sie.
Sie hatten Ilai, sie hatten Viktor. Zwei Türken hatten Solanas Zügel gepackt, einer wollte sie vom Pferd zerren. Es war genug. Sie traf eine Entscheidung. Als Mensch war sie fast wehrlos, doch als Wölfin konnte sie ihre Kameraden retten. Sie rief den Zorn, der wie ein Strudel in ihr aufstieg. Die Wölfin drängte nach vorn, roch das Blut. Ihr Knurren steigerte sich zu einem Heulen, als ihr menschlicher Körper aus dem Sattel glitt. Es waren keine Worte, die über ihre Lippen drangen, sondern der uralte, wilde Schrei eines Tieres, tiefer und lauter, als es ihre Mädchenkehle je vermocht hätte.
Der Kampf stockte. Roma und Janitscharen drehten sich zu ihr um. Ihre Augen weiteten sich, als Veronikas Finger mit unbändiger Kraft ihre Kleidung entzweirissen. Noch immer ertönte ihr Heulen, raste über die Schotterebene, wurde von den Felsen hundertfach gebrochen zurückgeworfen. Helles Fell quoll zwischen den Fetzen ihrer Kleidung hervor, Knochen krachten, als sie sich aufbäumte. Ihre Augen
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