Mondherz
sondern den Sfântul Munte verlassen und zu ihm nach Prag kommen. Du sollst auch mitkommen.«
Veronikas Herz machte einen Sprung.
Viktors Augen wurden schmale Schlitze. »Was glaubt der Kerl, wer ich bin?«, murmelte er. »Wir bleiben hier.«
Veronika äußerte sich lieber nicht dazu. Sie beobachtete ihn, während er weiterlas, sah, wie er die Augen aufriss und jäh wieder verengte. Am liebsten hätte sie ihm den Brief aus der Hand gerissen. »Was schreibt er zum Tod des Königs?«, fragte sie.
Viktor trat einen Schritt zurück. Seine Miene verschloss sich. Er verbarg etwas vor ihr, das erkannte sie im gleichen Augenblick, als er den Kopf schüttelte.
»Mathias Hunyadi ist jetzt ein freier Mann«, sagte er.
Das beantwortete aber nicht ihre Frage. Was genau war mit König Ladislaus geschehen? Sie starrte Viktor an, versuchte, seinen blauen Augen irgendetwas zu entlocken.
»Michael und Gábor versuchen, Mathias zum Thron zu verhelfen«, fuhr er fort.
Veronika hob verwundert die Augenbrauen. Mathias Hunyadi, der schmale Junge, der damals ihre Cousine Elisabeth Cilli geheiratet hatte? Sie konnte sich nicht einmal mehr an sein Gesicht erinnern. Doch die Hunyadis waren immer noch eine einflussreiche Familie. Vielleicht würde es Gábor tatsächlich schaffen, Mathias zum König zu machen.
Ihr wurde plötzlich kalt.
Nur königliches Blut darf ihren unberührten Leib besäen.
Der Schmerz fuhr wie eine Klinge in ihren Leib. Jetzt suchte Gábor sogar schon den Mann aus, dem sie sich einmal unterwerfen sollte.
Viktor schien von ihrem inneren Kampf nichts mitzubekommen. Er wandte sich ab und setzte seinen hinkenden Gang durch die Höhle fort.
Veronika atmete tief durch. »Was verschweigt Ihr vor mir?«, fragte sie schließlich.
Mit wilden Augen fuhr er zu ihr herum. »Halt deinen Mund, du verzogenes Kind«, schnauzte er sie an. »Erweise mir gefälligst Respekt!«
Erschrocken prallte sie zurück. Seine Augen waren dunkel geworden. Der Wolf sprach aus ihnen. Sie zog den Kopf ein, doch als er sich abwandte und erneut auf den Brief starrte, ballte sie die Fäuste. Was war nur in ihn gefahren?
»Mein Rudel macht, was es will«, zischte Viktor. Sie merkte, dass er mehr mit sich selbst als mit ihr sprach. »Gábor will mich belehren, was ich zu tun habe, und Michael schließt Pakte mit Pavel!« Plötzlich schleuderte er die Fackel quer durch den Raum, wo sie gegen die Felswand prallte und mit einem Zischen erlosch. »Und ich soll zu ihnen eilen, um ihre Streitereien zu schlichten? Gábor sollte wissen, dass ich im Moment Wichtigeres zu tun habe. Dieses Pack ist nicht besser als ein Rudel streunender Hunde!« Er zerknüllte den Brief, als wäre er ein Stück Abfall.
Veronika hielt die Hände immer noch zu Fäusten geballt. Ihre Gedanken rasten, allerdings fiel es ihr schwer, seine Andeutungen zu verstehen. Warum beschimpfte er sie und alle anderen so wüst? Sie erkannte ihn kaum wieder.
Er fuhr herum, als hätte er ihre Gedanken gespürt. »Du«, er starrte sie an. »Du solltest dich darauf vorbereiten, nach Buda zu reisen. Dort wird bald ein neuer König auf dich warten.«
Ihre Wut schäumte über, ihre Wölfin drängte nach vorne, doch sie fing sie wieder ein.
Das ist es nicht wert.
Plötzlich wurde sie ganz ruhig. Viktor hatte ihr niemals wirklich zugehört. Sie musterte ihn. Seine knorrigen Hände hingen schlaff herunter, es schien, dass sie nur mit Mühe den zerknüllten Brief halten konnten. Er sah sie weiter an, schien zu bemerken, dass sie den Brief musterte. Sein Blick begann unstet zu flackern. Oh, sie spürte die Dominanz seines Wolfes, doch nie hatte sie weniger Ehrfurcht vor ihm gehabt. Hinter all der Stärke war er nur ein launischer alter Mann. Warum war ihr das nie aufgefallen?
Sie atmete tief durch. Egal was er sagte, er konnte ihr nichts vorschreiben. Sie war frei. Der Bund war eine Farce, so wie Viktor sich aufführte. Warum sollte sie ihm also ihren freien Willen unterordnen? Das Einzige, was noch zählte, war das, was sie wollte. Und sie wollte jenen beistehen, die ihr wichtig waren. Solana und ihrem ungeborenen Kind. Und Viktor, trotz seiner Torheit. Auch wenn er es nicht wusste, brauchte er sie doch.
Schlucht vor Sfântul Munte, Januar 1458
Veronika kauerte am oberen Rand der Schlucht, einen Tagesmarsch von den Höhlen des Sfântul Munte entfernt. Lautlos fiel Schnee auf sie herab, tupfte die Landschaft im Dämmerlicht des frühen Morgens mit weißen Flecken. Neben ihr kniete Solana. Sie
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