Mondherz
wurden erst schwarz, dann hellgrau wie der Himmel über ihnen.
»Dschinn!«, schrien die Janitscharen und wichen zurück. Die Roma bewegten sich nicht. Auch ihre Augen waren wie gebannt auf die Verwandlung der Werwölfin gerichtet.
Nur einer der Janitscharen blieb stehen, starrte die Wölfin an, während er sich den blutverschmierten Turban aus der breiten Stirn schob. Darunter quoll tizianrotes Haar hervor. Sein Gesicht war eine Grimasse des Staunens.
»
Lânet olsun!
Zum Teufel, so sieht das also aus …«, murmelte er. Dann rief er seinen zurückweichenden Männern türkische Schmähworte zu, doch kaum einer reagierte auf ihn.
Das Heulen der Wölfin verstummte. Sie hatte ihre Verwandlung vollendet. So geschwind, dass ihre Schritte kaum zu hören waren, sprang sie über den Schotter, größer als jeder normalgeborene Wolf, und dabei eleganter, als selbst eine Katze es zu sein vermochte. Ihre Augen blitzten vom Feuer der Jagd. Schon war sie bei dem ersten Türken. Ihre Fänge bohrten sich in sein Fleisch. Er schrie vor Schmerz und Angst auf. Rasch senkten sich die Zähne der Wölfin in die Kehle ihres Opfers, und der Mann verstummte mit einem Gurgeln. Die Wölfin sprang über seinen leblosen Leib hinweg auf die anderen Türken zu, während die Roma zum Kampf riefen und sich mit neuer Kraft auf ihre Feinde stürzten.
Die Türken wichen zurück. Nur einer bewies den Mut der Verzweiflung. Er zückte ein Wurfmesser und schleuderte es durch die Luft. Die Wölfin duckte sich unter dem Messer hinweg, und sofort war sie bei ihm, begrub mit einem machtvollen Sprung seinen Körper unter sich.
»Dschinn«, schrien die anderen erneut, und ihr Rückzug verwandelte sich in heillose Flucht.
Einzig der rothaarige Türke schien keine Angst zu haben. Still schwang er sich abseits der anderen auf ein Romapferd und beobachtete die Wölfin, als wolle er sich ihre Gestalt einprägen. Erst als ihn einer der Roma bemerkte und mit gezücktem Dolch auf ihn zukam, sprengte er davon. Er trieb das Pferd hinter seinen Männern her, von denen die ersten bereits den Waldrand erreicht hatten. Dort trafen sie auf ihre Kameraden. Deren Zahl war schmählich geschrumpft, doch sie schwenkten tapfer ihre Trophäe – das graue, blutbefleckte Fell eines Wolfes.
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25 . Kapitel
Prag, Ende Januar 1458
D er Winter war mit Eiseskälte über Böhmen und Ungarn hereingebrochen. Während die Bauern sich um ihr Vieh sorgten und hofften, dass ihre Vorratskammern sie durch die kalte Jahreszeit bringen würden, gab es in der Stadt kaum ein anderes Gesprächsthema als die Thronfolge. Gábor und Mathias schrieben Brief um Brief, um Getreue im ganzen Land zu rekrutieren, und sie berieten sich mit Podiebrad und anderen böhmischen Würdenträgern.
Verlässlich erhielten sie Kunde von Miklos, der ihnen ein Bild von den Geschehnissen in Buda zeichnete. Dort trafen sich Ungarns Adlige, Vertreter des Klerus und Gesandte der Nachbarländer in Audienzsälen und in Hinterzimmern, tuschelten und verhandelten. Es war ein solch verwirrendes und filigranes Netz an Beziehungen und Interessen, dass nur jene es wirklich verstanden, die die wichtigsten Fäden in der Hand hielten. Einer von ihnen war Miklos zufolge Michael Szilagyi. Selbst wenn er Miklos zu meiden schien, behielt ihn der narbige Junge genau im Blick. Wenn Gábor anfangs noch gezweifelt hatte, ob Miklos der ihm übertragenen Aufgabe gewachsen war, so wusste er jetzt, dass er keinen Besseren dafür hätte finden können. Der schüchterne Junge mit den Narben wurde meist von seinen Gesprächspartnern unterschätzt, und wegen seines fehlenden Adelstitels hielt ihn kaum einer für beachtenswert; umso leichter fiel es ihm, seine Ohren überall zu haben, und was er nicht wusste, das hinterbrachten ihm Mathias’ Spitzel.
Als die Stände in Buda zum ersten Reichstag des neuen Jahres zusammentraten, hatte Michael mit seinen Reden und Verbindungen den schärfsten Konkurrenten seines Neffen, den Palatin Gara, bereits im Vorfeld so eingeschüchtert, dass der sich nicht mehr getraute, offen gegen die Hunyadis zu sprechen. Stattdessen schlug er vor, erst alle Thronanwärter persönlich anzuhören und reiflich zu überlegen.
Den Ständen gefällt sein Taktieren jedoch nicht,
schrieb Miklos an Gábor,
sie durchschauen seinen Vorschlag als eine feige Strategie, um Zeit zu gewinnen. Wenn der Hauptmann Szilagyi im Reichstag seinen Charme spielen lässt, sieht Gara neben ihm aus wie ein griesgrämiger Alter.
Gábor
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