Mondherz
strömte dabei rohes Machtbewusstsein aus, das einen weniger disziplinierten Ältesten als Pavel sicher herausgefordert hätte. Immer wieder sah Michael auch zu Gábor hinüber, doch der ignorierte ihn, so gut es ging. Sein eigener Wolf ließ sich gut bändigen, da er wusste, dass ihm akut keine Gefahr drohte. Pavel war nicht hier, um zu kämpfen, sondern um zu reden.
Endlich ließ sich Michael nieder, und mit einem grollenden Atemzug brach Pavel die Stille. »Ich dachte, dass ihr euch nach Viktors Tod bei mir meldet.« Er verschränkte die Arme. »Doch ihr hattet wohl zu viel mit euren Streitereien zu tun. Also musste ich herkommen, und das gefällt mir gar nicht.«
Unwillkürlich senkten Gábor und Michael ihre Blicke.
»Ich bin in Podiebrads Auftrag auf dem Weg nach Osten«, fuhr Pavel fort. »Er hat einen Vertrag mit Stephan von Moldau geschlossen, um das Grenzdreieck zwischen Moldau, der Walachei und dem Osmanischen Reich gegen die Türken zu sichern. Immer wieder kommt es dort zu Kämpfen. Meine Männer und ich werden in Isaccea eine neue Grenzfestung errichten und für ein Jahr nach dem Rechten sehen.« Seine Stimme war sachlich und bestimmt. Er wandte sich an Michael. »Drăculea ist wahnsinnig und eine Gefahr für die Werwölfe. Ich frage mich, warum du ihn nicht gleich beseitigt hast.« Seine Habichtaugen musterten Michael.
Auch Gábor sah zu Michael hinüber, gespannt auf dessen Antwort.
Der blonde Riese zuckte etwas linkisch mit den Achseln. »Umbringen können wir ihn immer noch«, murmelte er. »Ein öffentlicher Schauprozess wird Mathias als König stärken.«
Gábor zog die Augenbrauen hoch, doch er schwieg. Michael hatte es nicht einmal für nötig befunden, den Brief, der Drăculea des Verrats überführte, auf seine Echtheit zu überprüfen. Gábor hatte dem König geraten, vor dem Prozess eine Gruppe von Schriftgelehrten damit zu betrauen.
Pavel wischte Michaels Antwort wie eine lästige Mücke weg. »Das nächste Mal fragst du mich vorher«, stellte er kühl fest. »Ihr werdet mir heute Abend den Eid leisten, um ein Teil meines Rudels zu werden.«
»Nein«, sagte Gábor.
Das Wort hing in der Luft wie eine Drohung. Knurrend sahen die Wölfe aus den Augen der Männer zu Gábor hinüber. Er richtete sich auf. Er fürchtete Pavel, doch er konnte ihn unmöglich als seinen neuen Rudelführer akzeptieren.
»Ich auch nicht.«
Völlig überrascht fuhr Gábor zu Michael herum. Der Regent saß ebenso aufrecht da wie er. Seine blauen Augen funkelten.
Keiner regte sich, bis Pavel den Kopf in den Nacken legte und in ein heiseres Bellen ausbrach. Gábors Nackenhaare sträubten sich. Er brauchte einen Augenblick, um Pavels Bellen als Lachen zu identifizieren. Die Werwölfe am Tisch entspannten sich, doch so vermessen war keiner, in Pavels Lachen einzustimmen.
»Ihr seid unverbesserlich«, rief Pavel. »Viktor ist seit Monaten tot. Kein neuer Ältester hat sich in seinem Rudel gefunden. Glaubt ihr wirklich, daran ändert sich noch etwas?«
Darum ging es Gábor nicht, doch er hielt den Mund.
Michael allerdings nickte. »Lass mir noch Zeit, bis du vom Feldzug zurück bist, Pavel«, forderte er kühn. »Wenn sich bis dahin an meiner Stellung nichts ändert, werde ich dir den Eid leisten. Doch ich denke«, sein Blick wurde höhnisch, als er zu Gábor hinüberschaute, »dass mancher noch eine Überraschung erleben wird, die ihm nicht gefällt.«
Gábor konnte nicht glauben, was er in Michaels Miene las. Er war tatsächlich so überheblich zu glauben, das Schicksal würde ihn doch noch zu Viktors Nachfolger küren. Er konnte ein Kopfschütteln kaum unterdrücken.
»Also gut.« Pavel verschränkte die Arme. Immer noch schien er belustigt zu sein. »Bis dahin habt ihr beide Zeit. Und du, Miklos«, er schaute zu dem Jungen hinüber, »ich gehe davon aus, dass deine Treue zu Gábor dich ebenfalls davon abhält, mir den Eid zu leisten?«
Miklos nickte.
Pavel schüttelte schroff den Kopf. »Was für eine Verschwendung deiner Fähigkeiten.«
Ein kurzes Schweigen trat ein, in dem Gábor hundert Gedanken durch den Kopf schossen. Weder Pavel noch Michael würde er jemals einen Eid leisten, das wusste er so sicher wie er wusste, dass auf jeden Tag eine Nacht folgte. Doch Werwölfe ohne Rudel durften innerhalb des Bundes nicht existieren. Er musste eine Lösung finden, für sich und Miklos.
»Nun denn.« Pavels Blick wurde stechend. »Bevor ich mich auf den Weg mache, muss ich dafür sorgen, dass ihr euch
Weitere Kostenlose Bücher