Mondherz
leise. »Doch Senando hat recht, mit der Abreise warten zu wollen, bis euer Kind geboren ist.«
In einer großen Versammlung hatte Solanas Familie Senando inzwischen zu Ilais Nachfolger gewählt. Er war ein guter Mann, und er hatte Solanas Versprechen gegenüber Veronika noch einmal bekräftigt. Sie konnte mit den Roma reisen, wenn sie wollte, und sie freute sich schon darauf. Was hielt sie hier noch? Miklos war seit zwei Wochen fort, er war mit Pavel Richtung Osten gezogen. Gábor hatte sie um einen Besuch gebeten, doch sie hatte sich bisher in Ausreden geflüchtet, um ihn nicht sehen zu müssen. Und Michael? Der Regent war ständig unterwegs, und sie war sogar froh darüber. Sie hatte ihn nach seiner Rückkehr auf den Königsmord angesprochen, doch er hatte sie mit einem Schulterzucken und einem Grinsen abgewehrt. Nicht einmal ihre Empörung nahm er ernst! Sie ballte die Fäuste. Genauso hatte er ihre Frage nach Paulo und seinem Bruder Marko abgetan. Die beiden waren seit dem Feldzug verschwunden.
Sie schaute bang zu Solana, als ihr bei diesen Gedanken plötzlich eine Frage in den Sinn kam. »Was ist, wenn Paulo zurückkommt, und wir sind schon abgereist?«, fragte sie. »Wie kann er uns finden?«
Solana hob die Schultern. Plötzlich sah sie traurig aus. »Wir werden unterwegs Nachrichten hinterlassen. Doch ich glaube, sie sind tot.«
»Und ich bin schuld.« Veronika schluckte. »Ich habe Michael überredet, sie mitzunehmen.« Michael glaubte, dass die Romabrüder sich während des Feldzugs einfach aus dem Staub gemacht hatten. An seiner Geringschätzung der Zigeuner hatte sich nichts geändert.
»Nein«, sagte Solana. »Dich trifft keine Schuld. Meine Vettern haben sich gefreut, dass sie gegen Drăculea kämpfen konnten. Sie wussten, dass es gefährlich war.« Sie drückte Veronikas Hand. »Hoffentlich erleben wir Drăculeas Verurteilung noch, bevor wir abreisen.«
Veronika nickte. Sie hatte Paulo trotz seiner Wortkargheit sehr gemocht. Nie wieder würde er seine traurigen Weisen auf der Flöte spielen. Eine einzelne Träne perlte über ihre Wange. Solana nahm sie fest in die Arme.
»Es sind harte Zeiten«, flüsterte die Roma. »Doch die
cohane,
die Geister unserer Verstorbenen, wachen über uns. Auch über dich. Du wirst sehen, alles wird gut werden.«
Es war später Nachmittag, als Veronika nach Buda zurückkehrte. Die Sonne verschwand bereits hinter den Hügeln, so dass die Gassen im Schatten lagen. Der Platz vor dem Haus des Regenten war menschenleer. Als sie an die Tür klopfte, öffnete ihr niemand. Sie seufzte. Wahrscheinlich waren die Wachen wieder zu betrunken, um ihren Dienst zu tun. Sie hatte ihnen schon angedroht, sie hinauszuwerfen, und je länger sie jetzt vor der Tür stand, desto geneigter wurde sie, ihre Drohung wahr zu machen. Erneut klopfte sie, ungeduldiger dieses Mal.
Endlich hörte sie Schritte auf der anderen Seite der Pforte. Die Tür öffnete sich, und ihr gegenüber stand Michael.
»Da seid Ihr ja«, sagte er. »Wir haben schon auf Euch gewartet.«
Überrascht folgte sie ihm in den dämmrigen Gang. »Wer ist wir?«, fragte sie. »Gábor und Ihr?« Ihr fiel sonst niemand ein, auch wenn sie wusste, dass es unwahrscheinlich war, dass Gábor und Michael sich friedlich im selben Raum aufhielten.
»Gábor? Mit dem kann ich leider nicht dienen.« Er grinste gut gelaunt, was Veronika seltsam fand.
Im gleichen Augenblick trat ein Fremder zu ihnen auf den Gang. Sie schoss mit den Blicken Giftpfeile zu Michael hinüber, weil er sie nicht gewarnt hatte – sie sah kaum präsentabel aus –, ehe sie sich dem anderen Mann zuwandte.
Er war jung, etwa in ihrem Alter, und eindeutig von Adel. Er trug einen grünen Samtumhang, der mit einer goldenen Schmucknadel über der Brust zusammengehalten wurde. Blondes Haar lockte sich über den Kragen seiner Tunika, unter der er ein enges Beinkleid trug. Unverhohlen starrte er sie an. Doch dann schien er zu merken, wie ungebührlich er sich verhielt, denn als er den Blick senkte, färbten sich seine Wangen rot.
»Ich darf vorstellen«, sagte Michael. »Milutin, Graf von Corbu, ein Verwandter von mir.«
Veronika sank in einen Knicks. »Seid willkommen, Euer Durchlaucht«, sagte sie in eingeübter Höflichkeit. »Was verschafft uns die Ehre Eures Besuchs?«
»Nennt mich Milutin, Frau Veronika«, sagte der junge Mann und lächelte. Mit seinen ebenmäßigen Gesichtszügen war er hübsch, bemerkte sie, und vage ähnelte er Michael sogar. »Ich bin
Weitere Kostenlose Bücher