Mondherz
am Hof des deutschen Königs Sigismund diente, bewies er Ehre und Verantwortung«, fuhr Gábor fort. »Mein Lehrer erkannte, dass er ein mächtiger Bündnisgenosse im Kampf gegen die Türken werden würde, und verpflichtete sich, ihm zu dienen.«
»Euer Lehrer?«, fragte sie überrascht. »Wer ist er? Und wie viele Werwölfe gibt es überhaupt?«
»Nicht so viele, wie Ihr jetzt vielleicht glauben mögt.« Er wiegte den Kopf. »Ein halbes Dutzend steht im Dienst der Hunyadis. Andere handeln an anderen Orten mit den gleichen Zielen. Manche werdet Ihr kennenlernen, wenn Ihr ebenfalls dem Wolfsbund dient.«
»Dem Wolfsbund dienen?«, wiederholte sie entgeistert. »Das kann ich nicht!« Auf einmal brachen die Gefühle wieder über sie herein. Wie ein Gewitter schlug ihre betäubte Gleichgültigkeit um in Empörung. »Ich soll mit Euch gemeinsame Sache machen? Ihr sagt, Ihr dient den Menschen und beschützt sie in Gottes Auftrag vor den Türken. Doch an welchen Gott glaubt Ihr eigentlich? Ist es nicht eher der Teufel, der Euch befiehlt, einen Priester zu ermorden?«
»Hört auf mit dem Teufel! Wir dienen weder ihm noch der päpstlichen Kirche!« Gábors Augen blitzten. »Aber wir glauben an den Gott der Christen. Jeder Mensch ist für uns gleich, ob er ein Fürst ist, ein Bauer oder ein Priester.«
»Und Ihr tötet jeden, der sich in Euren Weg stellt?«
»Jeden, der unseren Bund gefährdet, ja.«
Sein Blick war finster wie eine mondlose Nacht. Veronika krallte die Finger ins Eichenlaub.
Herr, beschütze mich vor dem Bösen.
Gábor würde nicht zögern, sie hier und jetzt umzubringen, wenn sie sich gegen ihn wandte. Blieb ihr nichts anderes, als sich mit ihm und seiner entsetzlichen Gemeinschaft zu verbünden?
»Ihr müsst Euch jetzt nicht dazu äußern«, sagte er. In seine Miene war so schnell wieder Ruhe eingekehrt, als hätte es seinen Gefühlsausbruch nie gegeben. »Bis Belgrad haben wir noch eine anstrengende Wegstrecke vor uns. Auf der Festung werden wir uns dann um Euer Wohl kümmern, wie es einem adligen Mündel geziemt. Bei all Eurem Missfallen solltet Ihr jedoch eines nicht vergessen: Was immer Ihr von uns denkt, Ihr seid nun eine von uns.«
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4 . Kapitel
Belgrad, August 1455
G ábor eilte durch das dunkle Labyrinth der Burg. Seine Schritte hallten durch die leeren Gänge. Hinter ihm schlug mit dumpfem Knallen eine Tür zu, und vor den schmalen Fenstern, die zu den Pferdeställen zeigten, begann ein Hund zu bellen. Ansonsten war es still. Die Tore waren geschlossen und die Stadt ruhte, vom Rauschen der Flüsse sanft in den Schlaf gewiegt.
Er hatte Veronika in einer der Kemenaten im Hauptturm der Festung untergebracht, wo zwei Bedienstete bereits auf sie gewartet hatten. Sie würde diese kleine Kammerflucht ganz für sich alleine haben, denn die Adelsdamen, die in den beheizten Frauenstuben wohnten, konnte man an einer Hand abzählen. Unter den Ungarn war das Leben auf der Festung eine militärisch organisierte Gesellschaft von Soldaten geworden. Einst war es anders gewesen. Vor dreißig Jahren hatte der frühere serbische König Stefan Lazarević die Burg zu einer Residenz ausgebaut, deren verschwenderisch eingerichtete Räume ihresgleichen suchten. Seine Gäste tranken aus goldenen Kelchen und lauschten Gedichten, die oft vom König höchstselbst verfasst worden waren. Händler und Handwerker verschiedenster Nationalitäten wurden von dem Reichtum angelockt und ließen sich in der Stadt nieder. Stefan berief zahlreiche Gelehrte der griechischen Kirche an seinen Hof, baute eine Bibliothek und eine Kathedrale, finanzierte Klöster und den Ausbau des Donauhafens, der zu einem Zentrum des Handels zwischen Ost und West wurde. Doch so schnell, wie die Stadt erblüht war, verlor sie ihren Glanz auch wieder, als Stefan starb. Sein Nachfolger Brankovic übergab Belgrad an den ungarischen König, um seine zahlreichen Schulden zu begleichen. Die wachsende Gefahr durch die Türken lähmte den Handel, und die orthodoxen Gelehrten wurden von den katholischen Ungarn nicht gefördert. Graf Johann Hunyadi übernahm schließlich die Aufsicht über Belgrad, und unter ihm wurde die Stadt zu einem Bollwerk gegen den Osten. Die goldenen Kelche wurden erst in bare Münze und dann in Waffengerät getauscht, und bei den Mahlzeiten im großen Saal dienten inzwischen Knappen als Bedienstete. Musik und Poesie wichen Diskussionen über Taktik, Nebengebäude wurden in Kasernen umgewandelt, und Hunyadis Ritter lebten nun in
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