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Mondherz

Mondherz

Titel: Mondherz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christiane Spies
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den Räumen, die einst dem serbischen Hochadel vorbehalten waren.
    Ob sich Veronika in dieser militärischen Umgebung wohl fühlen würde? Gábor konnte es nur hoffen. Bis jetzt schien sie sich in ihre neue Rolle zu fügen, wenn auch mit spürbarem Widerwillen. In den letzten Tagen ihres Ritts war sie recht schweigsam gewesen. Sie war klug genug, um ihre Gedanken vor ihm zu verbergen, und das beunruhigte ihn. Es passte nicht zu ihrem aufgeweckten Charakter, so still zu sein. Hatte er sie zu hart angefasst? Nein. Er schüttelte den Kopf. Es brauchte eine feste Hand, um ihr die Veränderung in ihrem Leben unwiderruflich einzuprägen. Wenn er zu freundlich zu ihr war, würde sie niemals ihre alten Bindungen aufgeben. Selbst wenn sie der Wolfsgemeinschaft irgendwann nicht mehr so abweisend gegenüberstand, ein Rest trügerischer Hoffnung würde ihr bleiben, dass sie immer noch dieselbe wie vorher war.
    Du musst dein altes Leben hinter dir lassen,
hatte Viktor damals zu Gábor gesagt.
Du bist jetzt ein anderes Wesen, neu geboren im Blut des Wolfs.
    Ihm war das einst nicht schwergefallen. Es hatte kaum etwas in seinem alten Leben gegeben, das es wert war, zu bewahren, und vieles, bei dem er froh war, es zu vergessen. Veronika schien es allerdings anders zu gehen. Er hoffte, dass sie trotzdem irgendwann ihre neue Natur akzeptieren konnte. Als Wölfin hatte sie ihn sofort als ihren Artgenossen erkannt. In ihrer menschlichen Gestalt fürchtete sie ihn jedoch, das zeigten ihre Blicke deutlich. Erfreut darüber war er nicht. Doch Angst wurde bei dem Mädchen schnell zu Wut, und Wut war heilsam, das war seine Ansicht. Ihr Zorn würde sie stärken und verhindern, dass sie in Selbstmitleid versank, in Trauer und Hilflosigkeit. Wenn die Wut irgendwann verging, würde sie sich nicht aus Schwäche für den Bund entscheiden, sondern aus dem Verständnis ihrer Natur.
    Denn sie war es. Sie war die Prophezeite der heiligen Agnes, dessen war er sich sicher. Sie trug das rote Mal, und wichtiger noch, sie hatte als einzige Frau den Biss überlebt.
    Er hielt inne und lauschte dem Echo seiner verhallenden Schritte. Er konnte noch gar nicht recht begreifen, dass die Suche zu Ende war. Sie war eine Bürde gewesen, über all die Jahre hinweg, die er mit niemandem teilen konnte. Selbst Miklos wusste nichts von der Prophezeiung, ahnte nicht, dass sein Lehrer, zu dem er aufschaute, unschuldige Frauen ermordet hatte. Gábor strich sich über die Stirn und blickte aus einer Fensterluke hinab aufs nächtliche Belgrad. Die Dächer waren schwarz, doch im Tal glitzerten die beiden Flüsse, die Save und die Donau. Am Hafen erhob sich der sechseckige Mlinarica-Turm, und um die Stadt herum schimmerten die weißen Mauern im Mondlicht. Sie hatten Belgrad ihren Namen gegeben, und sie schützten verlässlich die schlafenden Menschen. So wie er nun das Mädchen schützen musste, das durch göttliche Fügung in seine Hände gelangt war. Gábor wandte sich von der Luke ab und ging weiter durch die dunklen Gänge.
    Welche Schuld er auch auf sich geladen hatte, nun musste er nach vorne schauen. Denn er hatte sie gefunden, die Frau, die all dem Leid und den Kämpfen ein Ende bereiten konnte. Und er wusste bisher viel zu wenig über sie, um ihr Verhalten einschätzen zu können. Er seufzte. Der Kampf gegen die Türken an Hunyadis Seite erschien ihm einfacher, als sie zu verstehen. Etwas an diesem Mädchen irritierte ihn. Es war ihr Duft. Sie roch wie ein Menschenweib, doch darunter schwang stets der Geruch ihrer Wölfin, dunkel und ungezähmt, verlockender als der Duft jeder Blume. Niemals zuvor hatte es einen weiblichen Werwolf gegeben. Das würde nicht nur ihn aufwühlen, sondern auch die anderen männlichen Werwölfe. Und einen von ihnen wohl ganz besonders.
    Er öffnete die Tür zum Westturm. Schwarz gähnte ihm der Treppenaufgang entgegen. Ohne zu zögern, ging er hinauf, sich ganz auf Tast- und Geruchssinn verlassend. Michael war dort oben, sein Geruch hing wie eine dunkle Wolke in der Luft.
    »Willkommen zurück, Gábor.« Michael öffnete ihm die Tür zur Wachstube. Der quadratische Raum war leer bis auf einen Strohsack, eine Truhe und einen schmalen Tisch, auf dem eine Karaffe und Weinbecher standen. Zwei Hängelampen, gefüllt mit Rindertalg und zu Kordeln gedrehten Leinendochten, qualmten vor sich hin. An den bloßen Mauerwänden hingen Armbrüste und gekreuzte Lanzen.
    Michael Szilagyi, Hauptmann der Festung von Belgrad und einer der stärksten Werwölfe,

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