Mondherz
Bisses, an Euren Körper ohne Fell, sucht den menschlichen Funken in Eurem Herzen.
Sie holte tief Atem. Endlich packte der Hofgelehrte seine Bücher zusammen. Sie roch den Schweiß, den es ihn gekostet hatte, seine Schülerin zwei Stundengläser lang zu bändigen. Sobald er aus der Tür war, sprang sie auf. Vor den Butzenglasfenstern hatte die Sonne die Wolkendecke vertrieben und schickte nun ihre wärmenden Strahlen über die Hausdächer.
Sie griff nach ihrem Wollmantel und ließ sich von ihrer Magd die Haare unter eine wärmende Haube binden. Ungeduldig eilte sie die schmalen Treppen hinunter. An der Pforte, die auf den Hof hinausführte, lagen drei von Hunyadis riesigen Wolfshunden. Sie erhoben ihre dunklen, zottigen Körper und wichen vor Veronika zur Seite. Sie spürten ihre Andersartigkeit und respektierten sie. Der Graf hielt sich ein ganzes Rudel von ihnen, und an ihrer Anwesenheit erkannte man stets, dass er in der Stadt war. Veronika seufzte. Die meisten Bediensteten der Burg hatten Angst vor diesen Hunden. Wie gut, dass sie nicht ahnten, dass es noch viel gefährlichere Wölfe in ihrer Umgebung gab!
Eigentlich hatte sie vor, in den vom Schnee weiß gepuderten Gärten hinter der Burg spazieren zu gehen. Im Hof traf sie jedoch auf Michaels Leibdiener, der gerade aus dem Küchenbau kam. Er hatte einen Weinschlauch um die Hüften gebunden, an dem mehrere Krüge baumelten. Über den Schultern trug er einen Leinensack. Verführerisch schmeichelte der Duft von frischem Brot, Käse und getrocknetem Speck Veronikas Nase.
»Wo gehst du hin?«, fragte sie ihn.
»Zum neuen Osttor in der Unterstadt, Frau Veronika.« Er senkte ehrerbietig den Kopf. »Mein Herr hat für sich und den jungen Graf Laszlo Hunyadi ein Mittagsmahl angefordert. Sie begutachten die Baustelle.«
Sie überlegte nur kurz. »Warte auf mich«, befahl sie. »Ich werde dich begleiten.«
Sie wies einen Knecht an, für sie ein Pferd zu satteln. Um ihre Beine unter den Röcken sittsam bedeckt zu halten, ritt sie im Seitsitz. In Begleitung einer Burgwache machten sie sich auf den Weg. Sie kamen durch den doppelten Wall des Tores, das die beiden Stadtteile voneinander trennte. Unter dem Verteidigungsbalkon des ersten Walls hing eine Ikone mit dem gütigen Antlitz der Gottesmutter. Der serbische König Stefan Lazarević hatte sie noch dort anbringen lassen, und Veronika bekreuzigte sich jedes Mal, wenn sie unter ihr hindurchritt. Die Hufe ihres Pferdes klapperten auf dem Kopfsteinpflaster, als sich die Unterstadt vor ihnen öffnete.
Sie war froh, dass sie mit ihren unbequemen Schnabelschuhen nicht zu Fuß gehen musste. Während die Burgwache ihr Pferd am Zügel führte, trippelte Michaels Leibdiener in vorsichtigen Schritten voraus. Wie viele andere hatte er dicke Holzsohlen unter die Füße geschnallt, um seine Lederschuhe zu schonen. Er kam auf dem schlammigen Pflaster nur langsam voran. Schuld war der Schnee. Er schmolz in der Sonne, sammelte sich in Pfützen und Spurrillen und floss in kleinen Bächen die Straßen hinab.
Sie folgten der Hauptstraße, die durch das Handwerkerviertel und das Marktviertel zum Hafen führte. Jedermann war unterwegs und schien mit der Besorgung wichtiger Angelegenheiten beschäftigt zu sein. Reiter und Karrenlenker bahnten sich laut rufend zwischen Ochsen, Pferden und Menschen einen Weg. Eine Gruppe junger Franziskanernovizen sprang hinter ihrem Lehrer her, der mit wehender Kutte in Richtung Kathedrale eilte. Frauen nutzten das helle Sonnenlicht, saßen in den Hauseingängen der Weberwerkstätten und zwirbelten eifrig Wolle über Spinnräderspulen. Daneben klopften Schustergesellen mit gebeugtem Rücken Nägel in Schuhsohlen. Kaum einer blickte auf, als Veronika an ihnen vorbeikam. Hinter dem Handwerkerviertel bogen sie Richtung Osten ab. Die Gassen wurden enger, und der Gestank von Abwasser zog vom Donauhafen zu ihnen herüber. Endlich näherten sie sich dem Osttor.
Der Lärm schallte ihnen schon von weitem entgegen, und aus der Nähe war er ohrenbetäubend. Hämmer schlugen, Gestein polterte, Männerstimmen brüllten Anweisungen. Zahlreiche Sklaven schleppten Steinblöcke zu den Maurermeistern, rührten Mörtel an und halfen den Zimmerern bei den Holzgerüsten. Sie waren muslimische Gefangene, die Graf Hunyadi von den letzten Kämpfen gegen die Türken mitgebracht hatte. Jetzt errichteten sie unter Schimpf und Schande die Bastionen gegen ihre eigenen Brüder.
Veronika war erst einmal bei der Baustelle gewesen und
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