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Mondherz

Mondherz

Titel: Mondherz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christiane Spies
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im Gefolge seines Onkels Michael zu finden, der ihn in den Aufgaben eines Hauptmanns unterwies. Wie sein Vater wusste Laszlo über die Werwölfe Bescheid, doch Veronika hatte ihm bisher nicht anmerken können, was er von ihnen hielt. Sie behandelte er wie alle anderen weiblichen Wesen am Hofe auch, nämlich indem er sie meist ignorierte. Er schien kein größeres Interesse an Frauen zu haben als an den Pferdeknechten, die sich um seine beiden edlen Hengste kümmerten. Kämpfen und Reiten waren seine Passion. Veronika sah ihn oft in der Nähe der Soldatenunterkünfte, wo er sich mit altgedienten Kriegsknechten im Schwertkampf maß. Er galt als Raufbold, der eine Handgreiflichkeit einen Pfeilschuss entfernt riechen konnte – und dann schneller vor Ort war als der Pfeil selbst.
    »Die Bauarbeiten scheinen gut voranzukommen«, sagte sie zu Michael.
    Er nickte. »Vor dem Wintereinbruch soll das Osttor fertig sein. Im Frühjahr sind der Hafen und der zweite Mauerring im Süden der Oberstadt an der Reihe. Dann werdet Ihr nicht mehr viel Ruhe zum Lernen finden, fürchte ich.« Er lachte wieder, und seine Augen glänzten wie blank polierte Kiesel. »Euer Liebden, wie geht es denn Euren Ungarischkenntnissen?«
    »Jó tanuló vagyok. Ich bin eine gute Schülerin.«
    Michael klopfte mit seinen riesigen Handballen auf den Tisch. »Sehr gut! Gábor wird stolz auf Euch sein.«
    »Gábor?« Unwillkürlich machte ihr Herz einen Satz.
    »Er hat einen Boten geschickt, heute kommt er aus Wien zurück. Hoffentlich mit guten Nachrichten.«
    Veronika nickte beklommen. Sie wusste nicht, ob sie ihn sehen wollte, den Mann, der sie hier abgesetzt hatte und dann verschwunden war. Er hatte sie zu seinem Mündel gemacht, doch dies war kein Grund, ihm zu trauen. Im Gegenteil, er konnte mit ihr verfahren, wie er wollte, und deshalb sollte sie möglichst auf der Hut vor ihm sein. Gerade hatte sie sich eingewöhnt, hatte ein äußerst zerbrechliches Arrangement mit ihrem Leben hier in Belgrad getroffen. Würde er sie wieder herausreißen? Und doch war irgendetwas an ihm, das ihr nicht mehr aus dem Kopf ging, seit er fort war. Er hatte sie nicht entführt, um sie zu quälen, sondern um ihr trotz des Bisses ein neues Leben zu ermöglichen. War er vielleicht doch nicht so kalt, wie sie glaubte?
    Michael runzelte die Stirn. Er schien ihrem Mienenspiel einiges ablesen zu können, denn er hakte nach: »Ihr freut Euch gar nicht?«
    »Natürlich freue ich mich«, beeilte sie sich zu sagen. Sie warf einen Seitenblick auf Laszlo. Nicht, dass er einen falschen Eindruck von ihr bekam. Er schien jedoch vollauf mit dem Verzehr des Schinkens beschäftigt zu sein. »Er ist schließlich mein Vormund.«
    »Aber kein einfacher Mann.« Michael lächelte. »Stur wie ein Ziegenbock kann er sein, wortkarg und mürrisch. Ein Asket vor dem Herrn, der keine Schwächen duldet.«
    Wenn er sie damit aus der Reserve locken wollte, gelang ihm das nicht. Sie blieb vorsichtig. »›Wie eine Stadt mit eingerissenen Mauern, so ist ein Mann ohne Selbstbeherrschung‹«, erwiderte sie nach kurzem Nachdenken.
    Laszlo hob den Kopf und fixierte sie mit seinen blauen Augen. Er hatte also doch zugehört. »Wessen Weisheit ist das?«, fragte er in gebrochenem Deutsch.
    »Sie stammt aus der Sprüchesammlung der Heiligen Schrift.« Es war kein Wunder, dass sie die Worte noch aufsagen konnte: Pater Anton hatte Elisabeth und sie mit dem Auswendiglernen gedrillt, bis die Sprüche nur noch wie leere Hülsen klangen.
    »Und eine Frau mit Bildung ist wie eine Katze mit geschärften Krallen«, warf Michael ein. »Das war eine gute Replik von Euch. Vergebt mir, dass Selbstbeherrschung nicht auch meine Stärke ist.«
    »Das tue ich, aber nur, weil Ihr dafür ein paar andere Tugenden habt.«
    Er legte den Kopf in den Nacken und lachte tief und grollend. »Es macht Spaß, mit Euch zu reden, Veronika.« Er deutete auf die Speisen, die vor ihnen standen. »Ihr könnt noch nicht satt sein. Los, greift zu!«
    Dankbar folgte sie seiner Aufforderung und nahm sich von dem Brot. Sie schaute ihm zu, wie er mit einem Dolch säuberlich die Rinde von dem Käse abschälte. Er schnitt eine dicke Scheibe ab und reichte sie ihr, auf die Spitze des Dolchs gespießt. »Probiert das zusammen mit einem Schluck Wein«, sagte er. »Das zergeht so fein auf der Zunge wie Muttermilch.«
    Sie befolgte den Rat. Der Käse war wirklich aromatisch. Entspannt lehnte sie sich zurück und ließ die Strahlen der Novembersonne auf ihrem

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