Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Mondherz

Mondherz

Titel: Mondherz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christiane Spies
Vom Netzwerk:
Gesicht spielen. Sie war froh, dass es ihr gelungen war, ihre Zerrissenheit über Gábors Ankunft zu überspielen.
    Laszlo war es, der das ursprüngliche Thema jedoch wieder aufgriff. »Ein guter Mann ist Gábor«, sagte er, die deutschen Worte mühsam zusammensuchend. »Er ist sehr ruhig, aber ein entschlossener Kämpfer. Mein Vater vertraut ihm.«
    »Natürlich tut er das.« Michael verzog den Mund. War da Missmut in seinem Blick? Veronika sah ihn überrascht an, aber schon war der Ausdruck aus seinem Gesicht wieder verschwunden. »Beide haben ihr Leben dem Kampf gegen die Mohammedaner verschrieben.«
    »Ihr etwa nicht?«, fragte sie irritiert.
    »Natürlich gibt es nichts Heiligeres als den Kampf gegen die Ungläubigen«, erwiderte Michael zögernd. Seine plötzliche Zurückhaltung war ein Wesenszug, den Veronika bisher noch nicht bei ihm gekannt hatte. Neugierig beugte sie sich vor.
    »Aber?«, fragte sie.
    »Aber zügelloser Hass macht blind, und in dieser Gefahr schweben einige aus unserer Gemeinschaft.«
    »Ihr meint Gábor?« Veronika hatte impulsiv geraten, und nun hingen ihre Worte in der Luft wie ein Gewicht auf einer Balkenwaage, die langsam nachgab und nach unten sank. Auch Laszlo hatte aufgehört zu essen und verfolgte ihr Gespräch.
    Nach einem endlosen Atemzug nickte Michael. »Ihn meine ich.«
    Veronikas Herz flatterte. »Wollt Ihr mir das erklären?«
    »Ihr könnt es Euch nicht denken?« Michael nahm einen tiefen Schluck vom Wein, dann blickte er sie wieder an. »Nein, Ihr scheint tatsächlich nichts davon zu wissen.«
    Ungeduldig schüttelte sie den Kopf. Worauf wollte er hinaus?
    Er beugte sich zu ihr über den Tisch, wie um seinen Worten noch mehr Nachdruck zu verleihen: »Schaut Euch Gábor genau an, wenn Ihr ihn heute Abend seht. Er ist selbst ein halber Türke.«
    Einen Augenblick lang war sie verwirrt. Der Gedanke erschien ihr völlig absurd. »Ein Türke?«, echote sie.
    »Der Sprössling eines Türkenhäuptlings und einer ungarischen Hure.«
    Plötzlich wurde ihr übel. Sie griff nach ihrem Mantel und hielt sich einen Zipfel davon vor den Mund. Gábors schwarze Augen sah sie plötzlich vor sich, sein schmales, dunkles Gesicht, das stets regungslos blieb. Sie hatte doch immer schon geahnt, dass er sich von den anderen Männern unterschied. Ihr Magen krampfte sich ein weiteres Mal ruckartig zusammen. Sie musste die ganze Wahrheit wissen. »Warum ist er dann überhaupt hier und kämpft gegen sie?«
    »Viktor, unser Lehrer, hat ihn aufgelesen, als er auf der Flucht vor ihnen war«, entgegnete Michael.
    Sein mitfühlender Blick beruhigte Veronikas Übelkeit ein wenig, nicht aber ihre Gefühle. »Gábor war auf der Flucht?«
    »Die Janitscharen haben ihn von der Mutter weggeholt, als er noch ein kleiner Bursche war.« Er kehrte zu seinem sachlichen Tonfall zurück. »Sie sind die osmanischen Elitekrieger. Er wurde zu einem von ihnen ausgebildet.«
    »Aber er wollte nicht bei ihnen bleiben.«
    »Das stimmt. Er wollte die Greueltaten nicht länger mitmachen, sagte er damals.«
    Veronika zitterte. Gábor war ein Türke. Was er wohl erlebt hatte bei den Ungläubigen? Hatte er in ihrem Auftrag Christen getötet? Sie spürte wieder die altvertraute Angst vor ihm, eine Angst, die sich wie eine Schlange in sie hineinfraß und aus dem mühsam erworbenen Gleichgewicht zu bringen drohte. Er war so fremd, so undurchschaubar.
    »Und Euer Lehrer hat ihm geholfen?«, fragte sie.
    »Ja. Gábor lief ihm in den Karpaten in die Arme, gerade 15  Jahre alt, verwildert und halb verhungert. Viktor war davon überzeugt, dass er in unsere Reihen aufgenommen werden müsse. Er hat ihn gebissen. Mein Schwager hat ihn in seine Dienste gestellt und geadelt, indem er ihm die kleine, aber florierende Grafschaft Livedil in Siebenbürgen übergab.«
    »Aber warum? Er war doch ein Feind.« Ihre Gedanken überschlugen sich.
    Laszlo räusperte sich. Veronika hatte ihn ganz vergessen. »Gott freut sich über jedes Kind, das zu ihm heimkommt«, sagte er unbeholfen. »Es war eine gute Tat.«
    Michael nickte. »Und seine Kenntnisse über die Türken waren von unschätzbarem Wert für den Bund.«
    Von dort wehte also der Wind. Sie versuchte sich vorzustellen, wie es für den halbwüchsigen Gábor gewesen sein mochte, doch sie konnte es nicht.
Er ist ein Mörder geblieben,
dachte sie.
Nur arbeitet er jetzt für die richtige Seite.
Sie schlang die Arme um sich.
    Michaels Blick ruhte unverwandt auf ihr. Auf welche Reaktion wartete er?

Weitere Kostenlose Bücher