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Mondherz

Mondherz

Titel: Mondherz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christiane Spies
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die Existenz unseres Bundes erklären?« Er nickte, als er in Gábors Augen widerwillige Zustimmung las. »Die heilige Agnes wusste nichts von uns. Doch sie hat in der Gegenwart unserer Brüder von Dingen gesprochen, über die nur ein Eingeweihter Kenntnis haben konnte.«
    Gábor mühte sich, Viktors Blick standzuhalten. »Selbst wenn die Prophezeiung wahr ist, hilft sie uns nicht in der Schlacht«, entgegnete er vorsichtig. Er klopfte auf seinen Schwertgriff. »Das ist unsere Stärke.«
    »Nein.« Viktors Stimme wurde zu einem tiefen Grollen. »Unsere Kraft liegt allein in unserem Blut und unserem Glauben. Vergiss das nie.« Der Griff seiner Finger schmerzte. »Du wirst deine Brüder holen und Graf Hunyadi befreien, das ist deine Pflicht. Aber danach wirst du dich auf die Suche nach der Frau begeben, die Agnes’ Weissagung erfüllt.«
    Gábor konnte nicht glauben, dass Viktor dies tatsächlich von ihm verlangte. Mit angehaltenem Atem schüttelte er den Kopf.
    Das Gesicht seines Lehrers wurde im Mondlicht so fahl und hart wie Marmor. Gábor stöhnte auf, als sich die Finger noch fester in seinen Arm krallten. Viktors Augen begannen sich dunkel zu verfärben, seine Oberlippe hob sich und zeigte weiße Zähne. Das Knurren kam tief aus seiner Kehle. Er würde seinen Befehl nicht zurückziehen.
    Gábor war es, der den stummen Zweikampf abbrach. Er beugte den Kopf, so dass ihm die dunklen Locken in die Stirn fielen. Er konnte gegen den Willen des Ältesten nicht bestehen, denn der Gehorsam war seit dem Wolfsbiss ein Teil seines Wesens. Doch nicht nur seine Natur ließ Gábor nachgeben. Viktor hatte ihn aus der Hölle gerettet und zu dem gemacht, was er heute war. Er schuldete ihm Dank und Respekt, selbst wenn sich alles in ihm gegen den Befehl sträubte.
    »Hunyadi braucht mich an seiner Seite.« Er merkte selbst, dass sein letzter Einwand wie eine Ausrede klang.
    »Ich weiß.« Viktors Augen glommen wieder in ungetrübtem Blau. »Bleib bei ihm und weihe ihn ein, er wird es verstehen. Seine Feldzüge werden dir die Möglichkeit geben, Ausschau nach der Frau zu halten. Und wenn du sie gefunden hast, wirst du alles daransetzen, dass sich die Prophezeiung erfüllt.«
    Die Überzeugung in Viktors Worten beeindruckte Gábor wider Willen. Sein Lehrer musste sich der Prophezeiung sehr sicher sein, wenn er sogar einen Menschen als Mitwisser riskierte.
    Er nickte stumm. Er wusste, was Viktor nun von ihm erwartete. Er zog sein Schwert aus der Scheide an seinem Gürtel und gab es Viktor. Mit gebeugtem Kopf kniete er sich vor ihn hin, eine Hand auf dem Herzen, die andere ausgestreckt. Ehrfürchtig sprach er die Worte. »Beim zweigestaltigen Blut des Bundes verpflichte ich mich, diesen Dienst zu erbringen und nicht eher abzulassen, bis er erfüllt oder mein Leben beendet ist.«
    »So sei es.«
    Viktor hob das Schwert mit ernster Miene. Rasch zog er die Klinge über Gábors Hand. Gábor regte sich nicht, obwohl der Schmerz bis zu seinem Ellbogen hinauffuhr. Blut tropfte auf den kahlen Erdboden. Viktor befahl ihm aufzustehen und gab ihm die Waffe zurück.
    Gábor schwindelte es, als er das Schwert in die Scheide an seiner Hüfte zurücksteckte. Die Wunde an seiner Hand würde schnell heilen, doch die Anstrengungen der letzten Tage forderten ihren Tribut. Er schüttelte müde den Kopf, als er die nächste Frage stellte. »Wie soll ich erkennen, ob eine Frau die Richtige ist?«
    »Vertrau deinem Instinkt und den Hinweisen, die Agnes uns gegeben hat.« Mit dunkler Stimme zitierte Viktor einen Teil der Prophezeiung: »›Die Jungfrau wird von hoher Geburt sein. Am roten Mal werdet Ihr sie erkennen.‹« Sein Blick schweifte in die Ferne. Er betrachtete den Morgenstern, der über dem Horizont im Osten begann, seine Bahn zu ziehen.
    Gábor spürte, dass er die Aufmerksamkeit des Alten verlor. Er setzte zu einer weiteren Frage an, doch Viktor hob die Hand.
    »Du wirst sie finden.« Der Alte sprach, ohne ihn anzusehen. »Und aus den Fehlschlägen wirst du lernen.«
    Ein Frösteln durchfuhr Gábors Glieder, so eisig wie ein Winterwind.
Und aus den Fehlschlägen wirst du lernen,
wiederholte er still. Er senkte den Kopf. Seine Hand verkrampfte sich um den Schwertknauf. Ihm schien, als hätte er sich auf ein Bündnis mit dem Teufel eingelassen.
    Denn jeder Fehlschlag würde eine Frau töten …

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    1 . Kapitel
    Buda, Juni 1455
    V eronika strich sich über die feuchte Stirn. In der Kapelle war es kühler als draußen, doch immer noch heiß

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