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Mondherz

Mondherz

Titel: Mondherz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christiane Spies
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sich zusammen. Das Dörfchen Grocka war nur einen schnellen Zweistundenritt von Belgrad entfernt.
    »Ich habe sie gesehen, ihre Schiffe waren so viele, dass ich sie nicht zählen konnte. Ich war bei einem Eurer Spähtrupps, Herr Hauptmann. Sie griffen uns an, eine Vorhut an Land von etwa tausend Mann. Es war ein Kampf auf verlorenem Posten, nur ich konnte entkommen.« Er schwankte auf seinem Pferd, das bleiche Gesicht schweißüberströmt. Zwei von Michaels Rittern sprangen an seine Seite und fingen ihn auf, als er herunterfiel.
    »Bringt den tapferen Mann in die Festung«, ordnete Michael mit lauter Stimme an. »In eure Häuser, Leute, steht den Kriegsknechten nicht im Weg!«
    Er gab noch mehr Anweisungen, doch Veronika hörte nicht mehr zu. Hastig bahnte sie sich einen Weg zwischen den Menschenkörpern hindurch, deren säuerlicher, feuchter Geruch sie schier erstickte. Sie atmete erst auf, als sie das Tor zur Oberstadt und die Festung erreichte.
     
    Sie verbrachte mehrere unruhige Stunden am Fenster ihrer Kammer, ohne dass die Türken in Sicht kamen. Als Miklos zu ihr kam, wandte sie sich vom Fenster ab und setzte sich zu ihm. Doch es gab nicht viel zu sagen. Auf dem Tisch stand vergessen ein Schachspiel aus Eichenholz, das Gábor ihnen zum Abschied überlassen hatte. Miklos hatte ihr das Spielen beigebracht. Wirksam hatte es die Abende verkürzt, doch nun war nicht die Zeit für imaginäre Kämpfe. Es war das schweigende Verharren vor dem Ausbruch des Sturms. Irgendwann hörten sie Rufe vom Hof heraufschallen. Miklos ging zum Fenster.
    »Es ist so weit.« Seine Stimme klang gefasst und seltsam endgültig, und das beunruhigte Veronika mehr als alles andere. Sie sprang auf und trat zu ihm.
    Das Wasser der Donau glitzerte in der tief stehenden Abendsonne wie ein seltsamer, vielfarbiger Kristall. Sie blinzelte und begriff, dass es Schiffe waren, die sie sah. Die Sonnenstrahlen spiegelten sich auf Helmen und silbernen Beschlägen, und die Farben kamen von leuchtend bunten Seidenzelten und Fahnen und geblähten Segeln. Sie hörte sie noch nicht, doch sie sah unzählige Ruder, die sich hoben und senkten wie Flügelschläge, um die Boote den Fluss hinaufzubefördern. Der Anblick war ebenso schön wie schrecklich.
    »Das sind Hunderte«, flüsterte sie. »Werden wir ihnen standhalten können?«
    Sie sah Miklos an, der seinen Blick nicht von den Schiffen nahm. Er runzelte die Stirn, und sie wusste, er konnte auf ihre Frage keine Antwort geben.
    »Sie werden uns belagern und versuchen, uns auszuhungern«, sagte er düster, und jäh schlug er mit der Faust auf den Fensterrahmen, so dass das Butzenglas zu klirren begann. »Denk an Konstantinopel vor drei Jahren, da war es genauso.«
    »Ja, und Konstantinopel ist gefallen.« Veronika hörte selbst, wie ihre Stimme zitterte. Miklos hielt die Faust geballt und sagte nichts dazu.
    Die Sonne wich vor der Dämmerung zurück, während die türkische Flotte immer näher kam. Die Luft der Festung wurde indes vom Getrampel der Ritter und scharfen Kommandoschreien zerrissen. Für Veronika sahen die hastenden Männer aus wie ein aufgescheuchtes Rudel Hunde, das in ziellose Betriebsamkeit verfallen war.
    »Wo ist Michael?«, fragte sie.
    »Er hat im großen Saal den Kriegsrat einberufen.«
    »Sollte er nicht besser das Anrücken der Türken beobachten?«
    »Das ist nicht nötig.« Miklos deutete hinunter auf das Gewühl. »Die Männer mit dem roten Emblem auf den Umhängen, das sind seine Boten. Sie überbringen seine Befehle und berichten ihm, wie es mit der Truppenaufstellung steht. Der Hauptmann muss sich jetzt mit seinen Kommandeuren beraten, wie sie ihre Streitmacht auf den Mauern verteilen wollen.«
    Veronika nickte nachdenklich. Nur siebentausend Mann zur Verteidigung der Belgrader Mauer, für deren Umrundung ein Fußgänger auf den Zinnen mehr als eine Stunde brauchte. Das war sicher keine leichte Aufgabe. Schweigend beobachtete sie Michaels Boten und erkannte endlich eine Ordnung in dem Geschehen. Allmählich füllten sich die Mauerbastionen mit Menschen und Waffen, ein dichter Verteidigungsring entstand.
    Auf den Zinnen wurden fünf wuchtige Kanonen in Stellung gebracht. Es waren lange Rohre aus Schmiedeeisen, die von Stahlringen umschlossen waren. Auf ihren Wagen konnten sie zu den unterschiedlichen Mauerabschnitten transportiert werden. Als sie ihre Positionen im Abstand von etwa hundert Schritt voneinander gefunden hatten, nutzten die Kanoniere Tragen, um sie von den Wagen

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